Hans-Heinrich Jörgensen

Ein ausgewiesener Experte in Sachen Schüßler-Salz-Therapie. Jörgensen ist Heilpraktiker seit 1962 und Vizepräsident des Biochemischen Bundes Deutschlands. Viele Jahre war er Mitglied der wissenschaftlichen Aufbereitungskommission für Mineralstoffe und Vitamine beim Bundesgesundheitsamt.

Das fröhliche Molekül

Biochemie der Mineralstoffe  Teil 3

 

Mangel - ja oder nein ?

Die Frage, ob denn überhaupt nennenswerte Mängel zu erwarten sind, wird unterschiedlich diskutiert. Die einen sehen eine stark an Mineralien verarmte Bevölkerung, die anderen sehen im Angebot von Mineralstoffen nur Geldschneiderei. 

Schon Justus Liebig, der die mineralische Düngung in die Landwirtschaft einführte, hat aufgezeigt, daß eine Pflanze nicht gedeihen kann, wenn ihr von den lebenswichtigen Mineralien, die sie aus der Erde saugt, nur ein einziges fehlt. Dr.Schüßler hat diese Erkenntnis auf den Menschen übertragen, für den sie ja in gleichem Maße gilt. Die Liebigsche Idee hat dazu beigetragen, den Hunger in Europa auszurotten, sie hat aber auch dazu geführt, daß mit extremer Überdüngung ein massives Pflanzenwachstum mit riesigen Ernteerträgen provoziert wird. Nur hat man allein das gedüngt, was die Pflanze braucht, nicht aber das, was sie lediglich als Vehikel auf Mensch und Tier überträgt. Einer der Gründe, warum trotz kräftiger Düngung und reicher Ernte bei Mensch und Tier Mängel zu verzeichnen sind. Jeder Landwirt gibt darum seinem Vieh wohlabgewogene mineralische Zusatzstoffe ins Futter. Es geht ja um Leistung und Ertrag. Der Bauersfrau geht es da wesentlich schlechter. Sie bringt keine meßbare Eier-, Milch- oder Fleischleistung, also muß sie auf das mineralische Zusatzfutter verzichten. Statt dessen verordnet ihr der Hausarzt dann ein Psychopharmakon. 

Die ungenügende Zufuhr zieht zwangsläufig Mängel nach sich. Mit "veredelter" (beachten Sie die Anführungszeichen) Zivilisationskost machen wir mangelernährte Bürger. Freßsucht und Überernährung rührt aus dem Hunger nach Vitalstoffen her. Und das Oldenburger Pferd ist deswegen zu Weltruhm gelangt, weil es die häßliche aber wertvolle Kleie fressen durfte, während seine Züchter das mineralarme weiße Mehl vorzogen. Wer sich von Cola und Pommes frites ernährt, leidet mit Sicherheit an Mängeln, wer auf Vollwerternährung achtet, trägt ein geringeres Risiko, ist aber keineswegs aus dem Schneider. 

Eine Minusdiät, sei es zum Abspecken oder zum Heilfasten, zieht ganz schnell einen akuten Kaliummangel nach sich, der dann oft zum Anlaß wird, die Flinte ins Korn zu werfen. Nicht ohne Grund werden in gut geführten Fastenkuren Gemüsesäfte gereicht, um dem Kaliummangel vorzubeugen. 

Selbst bei ausreichender Zufuhr kann es zu Versorgungsslücken kommen. Eine gestörte Resorption bei Darmerkrankungen, bei Durchfällen und auch Verstopfung, bei Blähungen und Gärungsprozessen im Darm, aber auch ganz einfach bei herabgesetzten Darmfunktionen, wie sie bei älteren Menschen häufig zu finden sind, führt schnell zu Mangelerscheinungen. 

Liganden oder Chelatbildner (Chelat = griechisch Kralle) sind Stoffe, wie z.B. Phytine oder Oxalate, die Kationen so fest an sich binden, daß diese nicht mehr freigegeben werden und damit ihre Funktion verlieren. Getreide z.B. enthält Phytine, die wiederum Calcium binden. Aber die Warnung, die kürzlich durch die Presse geisterte, daß Müsli-Esser darum zum Calciummangel neigen, ist natürlich ein Witz, denn selbst wenn die kleinen Mengen Phytine sich voll mit Calcium absättigen, bleibt immer noch genügend Calcium im Korn übrig, um als Mineralspender wirksam zu sein. 

Problematischer ist solche Chelatbildung beim Zusammentreffen von Antibiotika und Eisen oder Antibiotika und Antibabypillen. Hier können beide zugleich unwirksam werden. 

Ein erhöhter Bedarf an Mineralien besteht natürlich bei Schwangeren und Stillenden, die ja für Zwei zu sorgen haben. Auch bei Schwerarbeitern und Leistungssportlern, wobei zu bedenken ist, daß jeder Geriatrie-Patient stoffwechselmäßig ein Leistungssportler ist. Seine Leistung liegt zwar weit unter der des Spitzensportlers, aber individuell immer an der Obergrenze der physiologischen Leistungsbereitschaft. 

Viele moderne Medikamente führen zu Mineralausschwemmungen, z.B. Entwässerungsmittel, Abführmittel, Kortison und seine Abkömmlinge. Auch gut gemeinte therapeutische Ansätze, wie die Amalgam-Entgiftung mit DMPS oder die inzwischen wieder in der Versenkung verschwundene Chelattherapie, mit der man dachte, die Verkalkung der Gefäße aufheben zu können, machen die physiologischen Wirkungen der Mineralien zunichte. 

Einige Mineralien unterstützen sich gegenseitig in der Wirkung, einige wirken gegeneinander. Antagonisten heißen solche sich gegenseitig störenden Mineralien. Ein Überangebot des Antagonisten führt zu einem relativen Mangel des anderen. Die Überfütterung mit Natrium durch den übermäßigen Kochsalzgebrauch setzt die Kaliumwirkung herab und erzeugt darum leichte Blutdruckerhöhungen. Massive Magnesiumdosierungen, wie sie gern gegen Wadenkrämpfe gegeben werden, mindern die Calciumwirkung. Auch können Antagonisten sich gegenseitig bei der Resorption stören. 

Wegen solcher Antagonismen empfiehlt die Schüßlersche Biochemie, verschiedene Salze auch immer getrennt zu nehmen. Gut gemachte allopathische Mineralmischungen lösen dieses Problem, indem sie Gegenspieler in Vorgranulationen mit unterschiedlicher Zerfallszeit einbringen, so daß sie in verschiedenen Darmabschnitten freigesetzt werden und sich nicht mehr sonderlich stören können. 

Und schließlich: Agonisten, Mineralien, die sich unterstützen, können ihre Wirkung nicht voll entfalten, wenn ihnen der notwendige Reaktionspartner fehlt. 

Wie man sieht, gibt es viele Ursachen, die zu einem absoluten oder relativen Mangel und den damit verbundenen Funktionsstörungen führen können. 

Wie aber stellt man einen Mangel fest ? Krankenversicherungen in ihrem naiven und kindlichen Gemüt möchten für die Erstattung gerne verifizierbare Meßergebnisse. Nicht zuletzt setzen wir ja deswegen all unsere diagnostische Hoffnung auf Laborergebnisse, obwohl unsere Nase uns schon lange vor dem Ergebnis die Leberzirrhose verraten hat. 

Keine Frage: die heute zur Verfügung stehenden analytischen Methoden sind von außerordentlicher Präzision, sie können bis zur 14. Stelle hinter dem Komma mesen, zum Leidwesen der Olympioniken, die darob hin und wieder ihre Medaillen verlieren. Trotzdem sagen diese Untersuchungen nichts über die Mineralstoffbilanz des Probanden aus. 

Jedes Mineral lebt in seinem ganz spezifischen Aufenthaltsort. Das Blut, das wir untersuchen, ist nur der Verkehrsweg. Calcium finden wir kilogrammweise im Knochen, milligrammweise im Serum. Kalium ist im Inneren der roten Blutkörperchen vierzigmal höher konzentriert als in der umgebenden Extrazellulärflüssigkeit. Zink ist in der Prostata hoch konzentriert, ebenso im Auge, im Serum hingegen kaum vorhanden. Wir müßten für sinnvolle Aussagen das jeweilige spezifische Kompartiment anstechen. Was machen wir aber mit jenen, die keine Prostata haben ? 

Die obligatorische morgendlich-nüchterne Serum-Untersuchung ist etwa so, als zählte man aus dem Fenster seiner Nebenstraßenvilla morgens um Acht die vorbeifahrenden Autos: dreimal Mercedes, zweimal Opel, einmal VW - oder umgekehrt, je nach Wohnlage. Und daraus schließen wir dann auf die Zahl der in der Bundesrepublik zugelassenen Kraftfahrzeuge ? Die Blutuntersuchung ist eine Blitzlichtaufnahme, die zwar hinsichtlich bestimmter Herzrhythmusstörungen einen Aussagewert hat, nichts jedoch über die Versorgungslage mit den essentiellen Mineralien aussagt. 

Und was ist mit der Haar-Analyse, die ja sehr aktiv vermarktet wird ? Im Gegensatz zur Blitzlichtaufnahme des Blutes ist sie eine Zeitrafferaufnahme, die das letzte Quartal widerspiegelt, jenachdem, wie lang die Haare abgeschnitten wurden. Sie kann darum auch recht brauchbare Auskunft geben, ob der Patient in letzter Zeit einer Belastung mit toxischen Schwermetallen ausgesetzt war. Über die Mineralbilanz sagt aber auch die Haar-Analyse wenig aus, denn auch das Haar ist ein Aufenthaltsort mit spezifischem Verteilungsmuster der Mineralien. Zudem ist die Probe starken Schwankungen wegen der Staubbelastung oder der anhaftenden Detergentien unterworfen. Und schließlich verscherzt jede Untersuchungsmethode ihr Renommee, wenn sie mit von den Herstellern erkauften Therapieempfehlungen garniert wird. 

Resignation ? Nein. Drei Dinge helfen auf die richtige Fährte: die gründliche Kenntnis der Mangelsymptome, wie sie sich aus dem Wissen um die Wirkungen der einzelnen Minerale ergeben. Diese Kenntnis ist oft allerdings nur in Spurenelementen vorhanden. Weiter das Wissen darum, wann und bei welchen Patienten ich mit Versorgungslücken rechnen muß. Und schließlich - wie überall in der Diagnostik - das schlichte dran denken. 

Und wie beseitigt man einen Mangel ? Ich will es nicht verheimlichen: ich lebe recht gut davon, daß möglichst viele Menschen die Neukönigsförder Mineraltabletten® kaufen, die vor 25 Jahren "auf meinem Mist gewachsen" sind. Dennoch halte ich das Einnehmen von Tabletten und Medikamenten nicht für der Weisheit letzten Schluß sondern für eine Notlösung. Im Vorfeld muß die Erkennung und Beseitigung der Ursachen stehen. Wer sich von Milkyway und Pommes frites ernährt, muß über Vollwerternährung aufgeklärt werden. Wer Laxantien und Diuretika mißbraucht, muß medikamentös umgestellt werden. Wessen Bauchspeicheldrüse im Winterschlaf liegt, muß sie wecken. Nur wenn alles nichts fruchtet, kommt eine Ergänzung über Schüßlersche Biochemie oder schulmedizinische Mineralstoff-Präparate in Frage. 

Bei der Zusammenstellung einer vernünftigen Kost sollte Abwechslung und Vollwertigkeit im Vordergrund stehen. Vernünftige Ernährung hat nichts mit sektiererhafter Selbstkasteiung zu tun. Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß die religiösen Eiferer vergangener Epochen ihre Wiederauferstehung in der Gesundheitsbewegung erleben und ihre alte Lehre "Alles, was Freude macht, ist Sünde !" weiterhin pflegen. Auch gesunde Ernährung kann freudvoll sein und ein beträchtliches Stückchen Lebensqualität vermitteln. 

Eine vollwertige Ernährung muß auch nicht jeden Tag die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Tagessätze einbringen. Mineralien haben eine unterschiedlich lange "Halbwertzeit". Der Calciummangel wird laufend aus dem Skelett kompensiert und zeigt seine Schäden erst nach Jahrzehnten. Der Kaliummangel bei Nulldiät macht sich nach zwei bis drei Tagen bemerkbar. Wichtig ist, durch Abwechslung die "Kumulation" von Mängeln zu vermeiden. 

Auch Tabellenwerke über den Mineralgehalt einzelner Nahrungsmittel sind wenig hilfreich. Wollte man einen Speiseplan nach Nährwert-, Vitamin-, Mineral- und Säuregehaltstabellen zusammenstellen, es ginge immer irgendwo nicht auf. Und jeder weiß doch: die häßliche, schrumpelige, wild wachsende Tomate, die Sie im griechischen Bergtal gefunden haben, schmeckt ganz anders, als die riesengroße, schöne, rote, runde holländische Treibhaustomate. Warum wohl ? Beides sind doch Tomaten, dennoch haben sie einen völlig anderen Gehalt an Inhaltsstoffen. Jede Lebensmittel-Analyse kann nur Aussagen treffen über diese Tomate dieser Sorte von diesem Standort zu diesem Erntezeitpunkt und unter diesen Lagerbedingungen gewonnen. Tun Sie sich selbst den Gefallen, solche Tabellen in den Papierkorb zu werfen. 

Und immer wieder wird die Frage gestellt: "Kann es auch zuviel werden ?" Bei Spurenelementen schon, bei Mengenelementen kaum. Der Körper kennt zwei Schutzmechanismen. Die Resorptionsquote des Darmes paßt sich dem Bedarf an. Besteht ein Mangel, öffnen sich die Tore weit, ist der Körper gesätttigt, sinkt die Durchlaßrate auf ein Minimum. Und gelangt dennoch zuviel ins Blut, scheiden die Nieren den Überschuß schnell wieder aus. Voraussetzung aber sind intakte Nieren. Deshalb gilt die dialysebedürftige Niereninsuffizienz auch als Kontraindikation für eine unkontrollierte Mineralsupplementierung. 

Bei Spurenelementen, von denen wir ja nur winzigste Mengen benötigen, ist die Grenze zur Intoxikation hingegen schneller überschritten. Die Zinkvergiftung war früher die obligatorische Begleiterscheinung von Bauernhochzeiten, weil der Kartoffelsalat für die große Gesellschaft am Vorabend in der Zinkbadewanne, die sonst dem Samstagbad der Kinder diente, angemacht wurde. Und über Nacht löste die Säure des Essigs soviel Zink aus der Wanne, daß die Gesellschaft sich am Sonntagmorgen im Kreiskrankenhaus wiedertraf. 

Aber mit den homöopathisch auf D6 und D12 getrimmten Schüßlersalzen kann man auf keinen Fall eine Überdosierung erzeugen. Mit massiv hochdosierten schulmedizinischen Monopräparaten liegt das Problem eher in der Verdrängung der Antagonisten und in der Gleichgewichtsverschiebung. 

Wenn denn nun die Mineralstoffe per Tablette ergänzt werden, stellt sich auch die Frage nach der zweckmäßigsten Verbindung. Nicht überall ist der Unterschied so gravierend wie zwischen dem nützlichen und hilfreichen Kalium chloratum gleich Kaliumchlorid und dem giftig-tödlichen Kalium chloricum gleich Kaliumchlorat. Chemiker sind doch bösartige Menschen, wenn man sich diese verwirrende Namensgebung anschaut.