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Drachenwut's PolitikblogPolitische KorrektheitPolitische Korrektheit (dengl. pollitickel koräktnäss) ist heutzutage, dass logisch-auf sich beruhende Gegenteil von faktischer Korrektheit. |
Kein »arabischer Frühling«
Hintergründe
des Krieges der westlichen Wertegemeinschaft gegen Libyen.
Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen. Teil I: Über den Charakter der Revolte und die
Opposition im Land
Wirtschaftsliberale
und Exilpolitiker
Obskures
Gremium Namens »Nationale
Übergangsrat« (NTC: National Transitional Council)
Hintergrund. Der
Krieg gegen Libyen. Teil II: Kampf
um die Reichtümer des Landes und die Dominanz über den gesamten Kontinent
Liberalisierung
vs. Libyenisierung
Über den Charakter der
Revolte und die Opposition im Land
von Joachim Guilliard
In der Nacht zum 17. Juli erschüttern zwei Stunden lang
die Abwürfe von rund 70 Bomben mehrere Wohnviertel in Tripolis. Die Hochhäuser
in der ganzen Stadt erzittern wie bei einem Erdbeben, viele Anwohner flüchten
voller Angst auf die Straße. Zahlreiche Gebäude werden zerstört und die
Bewohner unter den Trümmern begraben – seit 120 Tagen ist
dies nun Alltag in Libyen. Das besonders schwere Bombardement an diesem Sonntagmorgen war offenbar die Antwort der NATO
auf die Großdemonstration vom Freitag, wo erneut Hunderttausende gegen den
NATO-Krieg protestierten und ihre Unterstützung für die Regierung
demonstrierten.
Seit über vier Monaten führen Frankreich, Großbritannien und die USA nun schon
mit Unterstützung der NATO Krieg gegen die »Sozialistische Libysch-Arabische
Dschamahirija (dt.: Herrschaft der Massen)« – mit dem
erklärten Ziel, das derzeitige Regime zu stürzen. Seit 120
Tagen gehen Tag für Tag und Nacht für Nacht schwere Bomben und Raketen auf
libysche Städte nieder. Dennoch wird die neueste Aggression gegen ein
Land des Südens in der westlichen Öffentlichkeit nicht als
Krieg wahrgenommen. Gingen bei den vorangegangen Kriegen gegen Jugoslawien,
Afghanistan und den Irak Zehn- und Hunderttausende auf die Straße, so regt sich
gegen die Zerstörung des nordafrikanischen Landes im Westen kein nennenswerter
Protest.
Viele, auch in der Linken, halten den Aufstand in Libyen immer noch für eine
Fortsetzung des »arabischen Frühlings« und stehen hinter den als »demokratische
Opposition« idealisierten »Rebellen«. Vorbehaltlos übernahmen die meisten das
von der Kriegsallianz in kürzester Zeit erschaffene Feindbild. Hartnäckig hält
sich– ungeachtet aller historischen Erfahrungen – die Hoffnung, die NATO würde
eine fortschrittliche Entwicklung im Land herbeibomben.
Außerhalb Europas und Nordamerikas stößt der Krieg auf breite
Ablehnung. Hier sind die meisten davon
überzeugt, daß er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung oder für Demokratie
geführt wird, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und
Gasvorräte. Die parallele militärische Intervention Frankreichs in der Elfenbeinküste
und die forcierte Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten
zudem auf Ziele hin, die darüber hinausgehen: die Sicherung und Ausweitung
westlicher Dominanz auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.
Es begann mit einer Lüge
Wie jeder Krieg von NATO-Staaten begann auch dieser mit einer großen Lüge. Der Ruf nach einer Flugverbotszone über Libyen wurde damit begründet,
Machthaber Muammar Al-Ghaddafi würde die Luftwaffe gegen friedliche
Demonstranten einsetzen und die »eigene Bevölkerung abschlachten«. Doch selbst
US-Verteidigungsminister Robert Gates gab vor Kriegsbeginn zu, dafür keine
Beweise gesehen zu haben. Weder die UNO noch die westlichen Botschaften in
Tripolis konnten irgendwelche Belege vorweisen. Mittlerweile sind die Vorwürfe
eindeutig widerlegt.1 Auch für das vielbeschworene Blutbad, das bei der
Einnahme der Rebellenhochburg Bengasi durch Regierungstruppen drohe, gab es
keine ernstzunehmenden Hinweise. Libysche Truppen hatten in
den Tagen vor der Verabschiedung der UN-Resolution mehrere Städte
zurückerobert. In keiner war es dabei zu Massakern gekommen, und es gab
keinen Grund anzunehmen, daß dies in Bengasi anders
sein sollte.
Eine entscheidende Rolle bei der Manipulation der
öffentlichen Meinung spielte der Satellitensender Al-Dschasira, dessen gute
Reputation wesentlich zum Erfolg der Propaganda beitrug. Dieser wertete,
so der algerische Politologe Djamel Labidi, in erster Linie die von den
Aufständischen präsentierten Meldungen zu Nachrichten auf. In einer Zeit, in der
wir ständig mit Live-Bildern von den Schauplätzen des Geschehens informiert
werden, traten dabei plötzlich »Zeugen« auf, die man nur hört, ohne sie zu
sehen, und die ihre Eindrücke schildern, ohne daß sie mit Bildern unterlegt
werden.
In der Nacht vom 17. auf den
18. März, d.h., unmittelbar nach dem Sicherheitsratsbeschluß, der die
»Willigen« zur Intervention ermächtigte, inszenierte Al-Dschasira
beispielsweise ein regelrechtes Drama. »Augenzeugen« erschienen, die
behaupteten, die libysche Regierung würde, entgegen ihrer Zusage, die
verordnete Waffenruhe nicht respektieren, Regierungstruppen seien »in die
Vororte von Bengasi eingedrungen«. Gleich darauf interviewte Al-Dschasira die
US-Botschafterin Susan Rice, um ihr mit großer Empörung vorzuwerfen, daß nichts
unternommen würde, den bedrohten Rebellen zu helfen, »bevor es zu spät ist«.
Minuten später verkündete Rice, als habe sie auf
nichts anderes gewartet, unter Berufung auf Al-Dschasira, daß Ghaddafi den
Waffenstillstand gebrochen habe. Andere Medien übernahmen
diese Nachricht sofort wie eine offizielle Verlautbarung. Deren Reporter
hatten selbst nichts gesehen, verfügten über keinerlei Bilder, befanden sich
aber »vor Ort« und verliehen dadurch ihren Aussagen die nötige Glaubwürdigkeit.
Der Druck durch die Medien nahm am folgenden Tag immer mehr zu, passend zum
gleichzeitigen Gipfeltreffen in Paris, auf dem der Beginn von Luftangriffen
beschlossen wurde.
Weitere Propagandalügen – wie etwa die »angeordneten
Massenvergewaltigungen« unter Einnahme von Viagra (!) oder
der Einsatz von Streubomben durch libysche Truppen – folgten. Obwohl sie meist rasch widerlegt wurden, prägen sie nach wie vor
das Feindbild im Westen.
Anders als in Tunis und Kairo
Die Entwicklung in Libyen ist mit den Revolten in den anderen arabischen
Ländern nicht vergleichbar. In Tunesien und Ägypten war es eine überwiegend
gewaltfreie Oppositionsbewegung, die allein durch ihre zahlenmäßige Stärke und
ihre enorme Ausdauer die Machthaber in Bedrängnis brachte, die Zentren der
Bewegung waren überall – mit Ausnahme des gleichfalls atypischen Syrien – die
Hauptstädte. In Libyen konzentrierten sich die verhältnismäßig kleinen
Demonstrationen mehr auf den Ostteil des Landes.
In den anderen arabischen Ländern waren es der soziale Niedergang in Folge der
neoliberalen Wirtschaftspolitik, die materielle Not
und die völlige Perspektivlosigkeit, die die Leute auf die Straße trieben. Im Vordergrund standen soziale Forderungen. In Libyen
hingegen mit seinem relativen hohen Lebensstandard leidet kaum einer materielle
Not.2 Im wesentlichen geht es hier um die Verteilung von Einfluß und Macht, um
Rivalitäten zwischen Stämmen und zwischen der unter der Monarchie
dominierenden, religiös-konservativen Kyrenaika im Osten und dem
bevölkerungsreicheren Tripolitanien im Westen. Demokratie und Menschenrechte
sind dabei höchstens Rhetorik.3
Zweifelsohne gingen auch in Libyen junge Leute, Anwälte und Akademiker
gewaltfrei mit der Forderung nach mehr Freiheit, mehr Demokratie auf die
Straße, veröffentlichten Manifeste oder bildeten Arbeitsgruppen, die eine
demokratische Verfassung ausarbeiten wollten. Sie waren aber nie besonders
zahlreich und in dem Maß, wie die militärischen Auseinandersetzungen
eskalierten, wurden sie von den bewaffneten Aufständischen, den abtrünnigen
Regierungspolitikern und der gut organisierten Exilopposition an den Rand
gedrängt. Mit Beginn der NATO-Intervention waren sie
endgültig aus dem Spiel.
Bereits Tage vor den Zusammenstößen am 17.Februar, die als
Auslöser der Revolte gelten, hatten oppositionelle Kräfte schon zu massiver
Gewalt gegriffen. Am 15.2. waren
in Zintan und Al-Baida Polizeistationen in Brand gesetzt worden. Auch in den folgenden Tagen wurden vielerorts Polizeireviere und
andere öffentliche Gebäude niedergebrannt. In der Großstadt Al-Baida
wurden fünfzig als Söldner bezeichnete
Schwarzafrikaner exekutiert und in Bengasi zwei Polizisten gelyncht. Bewaffnete
Islamisten stürmten schließlich in Derna ein Armeedepot und den daneben
liegenden Hafen, nahmen eine größere Zahl von Soldaten und Zivilisten als
Geiseln und drohten sie zu erschießen, falls die libysche Armee sich nicht aus
der Stadt zurückziehe.
Es waren diese Angriffe, gegen die die libysche Polizei und
Armee mit Waffengewalt vorgingen. In westlichen
Ländern hätte man mit Sicherheit nicht zurückhaltender auf eine solche massive
Gewalt reagiert.
Was zunächst als Protestbewegung erschien, ging auf
diese Weise unmittelbar in einen bewaffneten Aufstand über. Erste Anhaltspunkte
über dessen Charakter gaben die sich bald häufenden Berichte über brutale
Angriffe von Rebellen auf schwarzafrikanische Fremdarbeiter. »Bekanntlich
versucht Ghaddafi wie kein anderer regionaler Führer, das Image des arabischen
Rassismus zu durchbrechen«, so Gunnar Heinsohn, Autor des »Lexikons der
Völkermorde« in der FAZ. Seine »Bemühungen um Schwarze« komme diese
jetzt allerdings teuer zu stehen. Eine Million afrikanische Flüchtlinge und
Tausende afrikanische Wanderarbeiter sind nun in Gefahr, ermordet zu werden.4
Als Vorwand für die Übergriffe dient meist der Verweis auf schwarze Söldner in
den Reihen der Regierungstruppen. Opfer sind jedoch
meist einfache Arbeiter und Flüchtlinge. Ein türkischer
Bauarbeiter berichtete der britischen BBC, daß er mitansehen mußte, wie siebzig
bis achtzig Arbeiter seiner Firma aus dem Tschad mit Baumscheren und Äxten
niedergemetzelt wurden. Aktuell sind u.a. die
Bewohner von Tawergha von Gewalt und Vertreibung durch Rebellenmilizen bedroht.
Hier, 40 Kilometer südlich der unter der Kontrolle von
Aufständischen stehenden Hafenstadt Misurata, wohnen– ein Erbe des
Sklavenhandels im 19. Jahrhundert– überwiegend
schwarze Libyer.
Von langer Hand geplant
Der Aufstand war keineswegs, wie meist angenommen, spontan, sondern schon seit
langem geplant. Die Protestbewegungen in den arabischen Ländern waren nicht die
Ursache, sondern nur ein willkommener Aufhänger.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Nationale Front für die Rettung Libyens
(NFSL). Diese wurde bereits 1982 mit israelischer und
US-amerikanischer Unterstützung gegründet, um Ghaddafi zu stürzen. Unter
Führung des zur CIA übergelaufenen Kampfgefährten Ghaddafis, Khalifa Haftar,
legte sie sich 1988 mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) auch einen
militärischen Arm zu. Die von den USA ausgerüstete kleine Untergrundarmee
unterhielt in Virginia ein Trainingscamp und führt seit den 1990er Jahren
Aufstandsversuche und Terroraktionen in Libyen durch. 2005 gründete sie mit
sechs kleineren Gruppen die Dachorganisation »Nationale Konferenz der Libyschen
Opposition« – Vorbild war hier offensichtlich die Irakische Nationalkonferenz
von Ahmad Tschalabi (»Irakischer Nationalkongreß«), während die NFSL analog
Iyad Allawis »Irakischer Nationaler Eintracht« gestrickt wurde. Beide spielten und spielen eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung
des Irak-Krieges und der folgenden Besatzung.
Die NFSL war treibende Kraft hinter den Demonstrationen vom 17. Februar, zu der sie über Facebook und ähnliche Netzwerke
mobilisierte. Haftar reiste unmittelbar danach nach Bengasi, um die
militärische Führung des Aufstands zu übernehmen.
Die NFSL nutzte sofort ihre guten Kontakte zu den westlichen Politikern und
Medien und prägte so maßgeblich die Berichterstattung im Westen über die
Auseinandersetzung. Ihr Generalsekretär Ibrahim Sahad zieht seither weiterhin
von Washington aus die Fäden, während andere führende Mitglieder eine
maßgebliche Rolle im sogenannten ›Nationalen Übergangsrat‹ spielen. Dieser Rat
wird, ohne daß nach seiner Legitimation gefragt wird, vom Westen als Repräsentant der gesamten Opposition im Land angesehen
und von der Kriegsallianz sogar offiziell als neue libysche Regierung
anerkannt.
Auch Frankreich und Großbritannien hatten ihre Vorbereitungen offensichtlich
schon lange vor dem 17. Februar
begonnen. So trafen sich Vertreter der französischen
Regierung im Herbst letzten Jahres in Paris mit abtrünnigen libyschen
Politikern, darunter der ehemalige Protokollchef und enge Vertraute Ghaddafis,
Nouri Mesmari. Vermutlich nahmen die Franzosen auch Kontakt zu libyschen
Offizieren in Bengasi, wie dem Luftwaffenoberst Abdallah Gehani, auf, die mit
Mesmari konspirierten und einen Aufstand vorbereiteten. All
diese Dissidenten gehören seit Februar zur Führung der Aufständischen.
Im November 2010 verabredeten Paris und London auch das gemeinsame Manöver »Südlicher
Mistral« (1-2-3), bei dem die Luftwaffen beider Länder die Bekämpfung einer
»südländischen« Diktatur üben sollten. Die Vorbereitungen zu der für den 21.
März 2011 angesetzten Übung gingen dann nahtlos in die »Operation Morgendämmerung« über – dem am 19. März von französischen Kampfjets
eingeleiteten Luftkrieg gegen Libyen. Bereits einen Monat zuvor waren
nach Informationen der britischen Zeitung Daily Mail bereits 250 britische
Elitesoldaten nach Libyen eingedrungen – d.h. gleich nach Beginn des Aufstands
oder sogar schon davor.
Wirtschaftsliberale und Exilpolitiker
Aus welchen Kräften sich im einzelnen die Anti-Ghaddafi-Koalition
zusammensetzt, an deren Seite die NATO bombt, ist – wie auch westliche
Politiker und Medien häufig beklagen – nicht zu überblicken. Die Personen, die
im Zusammenspiel mit der westlichen Kriegsallianz die Führung des Aufstandes
übernommen haben und nach deren Willen die Macht im Land übernehmen sollen, sind jedoch sehr gut bekannt. Es sind
Exilpolitiker und ehemalige Regierungsmitglieder, die alle seit langem engen
Kontakt mit Washington, London und Paris halten.
An der Spitze steht, als Chef der »Exekutive« des
Übergangsrats, Mahmoud Dschibril, der sich bis dahin in der libyschen Regierung
als Leiter des Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung um einen radikalen
Privatisierungskurs bemüht hatte. Zuvor hatte er lange Zeit an
US-amerikanischen Universitäten wirtschaftspolitische Planung gelehrt und war
erst 2005 nach Libyen zurückgekehrt. Seinen vertrauten Kontakt zur US-Regierung
hatte er, wie die von Wikileaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen
enthüllten, nie aufgegeben. Darüber hinaus gilt er auch als
enger Freund des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der den Rat als
erster anerkannte.
Neben Dschibril sorgt der frühere libysche Wirtschaftsminister Ali Al-Issawi
für die enge Abstimmung der Rebellenführung mit der Kriegsallianz. Al-Issawi
verlor das für die Privatisierung zuständige Ressort im Streit um den Umfang
der wirtschaftsliberalen Reformen, die er, wie Dschibril, gerne radikaler
gestaltet hätte. Ebenso eng verbunden mit Washington und
ausgewiesen neoliberal ist der »Finanzminister« in der Gegenregierung, Ali
Tarhouni. Er ist langjähriger US-Bürger und
lehrte bis zum Beginn des Aufstands an der University of Washington Wirtschaft
und Finanzwesen. Seine Frau arbeitet als Anwältin im
US-Justizministerium.
Eine wichtige Rolle spielt als Vorsitzender des unter
der alten Flagge der Monarchie agierenden Übergangsrates auch der ehemalige
Justizminister Mustafa Mohammed Abdul Dschalil. Zum Militärchef avancierte, in
Abstimmung mit der Westallianz, Abdulfattah Junis, bis
dahin Innenminister und Kommandeur der libyschen Sondereinheiten. Er soll vor
allem enge Verbindungen zur britischen Regierung haben. Als »Generalstabschef«
ist er nun zuständig für die enge militärische Koordination zwischen den
Rebellenmilizen und den Kommandeuren der NATO.5
Zum Kreis der Abtrünnigen gehört auch Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman
Al-Abbar, der kurz nach Junis zu den Rebellen überlief. Somit stehen nun die
drei wichtigsten bisherigen Verantwortlichen für die staatliche Repression an der Spitze dessen, was im Westen als demokratische
Opposition angesehen wird.
Die drei, die schon beruflich eng verbunden waren, traf die Entwicklung
offenbar nicht unvorbereitet. Sie standen vermutlich, wie der ehemalige
Protokollchef auch, seit langem mit jenen Kreisen in Verbindung, die den
Aufstand planten. Junis hat den Ausbruch der Unruhen vermutlich in seiner
Funktion als Innenminister auch direkt gefördert. Nach
Angaben eines hochrangigen Polizisten hatten die Sicherheitskräfte bereits am
17. Februar den Befehl vom Hauptquartier in Tripolis erhalten, die
Polizeistationen zu verlassen. »Wir wurden aufgefordert, unsere Uniformen
auszuziehen und nach Hause zu gehen.«6
Schließlich spielt im Hintergrund noch der frühere Chef der Zentralbank Farhat
Omar Bengdara eine entscheidende Rolle. Auch er kommt aus Bengasi und
war offensichtlich in die Umsturzpläne eingeweiht. Der wirtschaftsliberale
Banker, der wegen seines »Nebenjobs« als Vizepräsident der italienischen
Großbank UniCredit sehr oft in Mailand weilte, hatte sich zu Beginn des
Aufstands ins Ausland abgesetzt und seine Position genutzt, um den Abzug
libyscher Kapitalanlagen aus Europa und den USA solange zu blockieren, bis
UN-Sanktionen deren Einfrieren ermöglichten. Er hatte auch engen Kontakt zu Berlusconis
Regierung und dürfte dazu beigetragen haben, sie zu überzeugen, trotz der
umfangreichen italienischen Geschäfte in Libyen an der Seite der Aufständischen
in den Krieg zu ziehen. Auch nach seinem Abgang von der Zentralbank behielt
Bengdara seinen Posten bei UniCredit und arbeitet nun an
den Plänen zum Aufbau eines neuen Banksystems in der Rebellenhauptstadt
Bengasi.
Die militärisch erfahrensten Kämpfer in den Reihen der libyschen Opposition
scheinen radikal-islamische Veteranen zu sein, die in Afghanistan und im Irak
gegen US- und NATO-Truppen kämpften. Ein Teil von ihnen ist
in der Libyschen Islamischen Kampfgruppe organisiert, die bereits in den 1990er
Jahren Anschläge in Libyen durchführte. Ihre Hochburg ist
die östlich von Bengasi liegende Stadt Derna.
nach oben
Obskures Gremium Namens »Nationale Übergangsrat« (NTC: National Transitional Council)
Wohl noch nie haben sich aufständische Kräfte trotz ideologischer Vielfalt und
differierenden Interessen derart schnell auf eine Führung geeinigt. Der am 27. Februar gegründete »Nationale Übergangsrat« (NTC:
National Transitional Council) sei, so heißt es, von Ad-hoc-Räten der
»befreiten Städte« im Osten im Schnellverfahren bestimmt worden.
Wahrscheinlicher ist es, daß er schon lange zuvor in
enger Abstimmung mit den Regierungen in Washington, Paris und London konzipiert
wurde. Allein aus dem engen Kontakt mit diesen bezieht er bis heute seine
Autorität.
Das obskure Gremium, von dessen nominell 31 Mitgliedern bisher nur 13 in
Erscheinung traten, repräsentiert – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teil der
Opposition und keineswegs die des gesamten Landes oder gar – wie die
NATO-Staaten glauben machen wollen – des »libyschen Volkes«. Der Rat ist zudem zwischen den verschiedenen politischen und
militärischen Befehlshabern gespalten, sein Einfluß auf das lokale Geschehen
geht kaum über Bengasi hinaus.
Die anderen aufständischen Städte haben ihre eigene Führung, und auch viele
bewaffnete Verbände kämpfen auf eigene Faust. Die Rebellen von Brega z.B., die
bisher vergeblich versuchten, die Kontrolle über die Stadt zu erlangen,
erkennen seine Autorität nicht an. Er würde in keiner Weise Brega
repräsentieren, so ihr Sprecher Mohammed Musa Al-Maghrabi. »Uns erscheint der
NTC wie eine ausländische Regierung, voller Nepotismus und Korruption.« Er sei wesentlich geschickter dabei, sich Legitimation
unter europäischen Regierungen zu verschaffen als in
der libyschen Bevölkerung.
Die größte Rebellenmiliz, die »Märtyrerbrigade des 17. Februar«, steht in
direkter Opposition zum Übergangsrat wie auch zu den diversen anderen Milizen.
Mehrfach kam es, wie die kanadische Zeitung Globe and Mail berichtete, zwischen
diesen zu bewaffneten Auseinandersetzungen.
Die libysche Gesellschaft ist stark stammesbezogen und
schon daher wenig geneigt, ferne Autoritäten anzuerkennen. Auch das politische
System der »Dschamahirija«, der »Herrschaft der Massen« durch eine direkte
Demokratie über die lokalen »Basisvolkskongresse«, hat
eher eine dezentrale Selbstverwaltung als eine echte nationale Administration
gefördert, so der private texanische Informationsdienst Stratfor.
»Ironischerweise war es dieses Erbe von Ghaddafis Regime, das den einzelnen
östlichen Städten half, rasch lokale Komitees zu bilden und die Verwaltung
ihres jeweiligen Gebietes zu übernehmen. Aber es wird
Schwierigkeiten schaffen, sollten sie versuchen, wirklich zusammenzukommen.
Die Rhetorik ist weit entfernt von einer handfesten
nach oben
Demonstration der Einheit.«7
Im Westen hat es, mit Ausnahme von Misrata, nie sonderlich große
Demonstrationen gegeben. Seit die
NATO bombt, dürften auch viele Gegner Ghaddafis wieder hinter ihrer Regierung
stehen. »In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen«, so der norwegische
Friedensforscher Johan Galtung, »die Ghaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine
Errungenschaften schätzen.«8
Anmerkungen
1 Reinhard Mutz, Libyen: »Lizenz zum Töten?« Blätter
für deutsche und internationale Politik, Juni 2011
2 Joachim Guilliard, »Zerstörung eines Landes – Droht Libyen der gleiche
Absturz wie dem Irak?« junge Welt, 5.5.2011
3 »Den Demonstranten geht es nicht um Demokratie«, Interview mit Gabriele
Riedle, Redakteurin des Magazins Geo, Berliner Zeitung, 21.2.2011
4 Gunnar Heinsohn, »Da schweigt Ghaddafi – Wer sind die Aufständischen«, FAZ
22.3.2011. Siehe auch »African migrants targeted in Libya«, Al Jazeera,
28.2.2011 und Wolfgang Weber, »Libysche Rebellen massakrieren
Schwarzafrikaner«, WSWS, 31.3.2011
5 Knut Mellenthin, »Offen und kooperativ – Die ›Revolutionäre‹, denen der
Westen vertraut«, jW, 1.4.2011; Prof. Peter Dale Scott, »Who are the Libyan Freedom Fighters
and Their Patrons?« The
Asia-Pacific Journal Vol 9, Issue 13 No 3, 28.3.2011.
6 Amira El Ahl, »Sie feiern schon ihr neues Libyen«, Welt am Sonntag, 27.2.2011
7 »Libya's Opposition Leadership Comes into Focus«, Stratfor, 20.3.2011
8 Johan Galtung, »Libya: The War Is On«, TRANSCEND Media Service, 28 3.2011
Kampf um die Reichtümer des Landes und die Dominanz über den gesamten
Kontinent
Von Joachim Guilliard
Der
neue Krieg der NATO wird von der überwiegenden Mehrheit der Staaten in der Welt
abgelehnt. Die
meisten Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika sind
überzeugt, daß er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt wird, sondern
für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. In Europa herrscht jedoch bei der Einschätzung der Ziele des neuen
NATO-Krieges auch bei Linken häufig Konfusion. Viele
bezweifeln, daß hinter der Intervention ökonomische und strategische Motive
stehen könnten.
Die Tatsache, »daß Ghaddafi Libyen in den Weltmarkt und den neoliberalen
Kapitalismus integriert« habe und »von einem Feind des Westens zu einem der
verläßlichsten Partner in der Region geworden« sei, schreibt z.B. Ingar Solty
in der Zeitschrift Sozialismus, schließe »die Möglichkeit aus, daß es beim
Krieg gegen Libyen um dessen »Einreihung in den globalen Kapitalismus« gehe.1
Hinter dieser Einschätzung steht ein sehr oberflächlicher Blick auf die
Entwicklungen in Libyen. Er ignoriert zum einen die massiven Zwänge, denen
Libyen durch die UN-Sanktionen und die Kriegsdrohungen aus Washington
ausgesetzt war, und überschätzt die Zugeständnisse an
den Westen. Zwar sind alle großen Ölfirmen wieder im
Land, doch zu sehr restriktiven Bedingungen. Das libysche Engagement für die
afrikanische Einheit und Unabhängigkeit steht den Bemühungen der USA und der
alten Kolonialmächte diametral entgegen, ihren Einfluß auszuweiten.
Riesige Ölvorkommen
Mit 46,6 Milliarden Barrel (ein Barrel sind 159
Liter) verfügt Libyen über die größten nachgewiesenen Ölreserven Afrikas und
steht weltweit auf Platz acht. Da bisher nur ein Viertel der weiten Flächen des
Landes auf Kohlenwasserstoffvorkommen untersucht wurden, sind
die Vorkommen vermutlich noch wesentlich größer.
Nur ein Fünftel der bekannten Vorkommen wurde bisher erschlossen, Libyen liegt
daher mit einer Fördermenge von etwa 1,7 Millionen
Barrel Rohöl am Tag (bpd) hinter Angola und Nigeria. Um seine Reserven nicht zu
verschleudern, fördert das Land nur halb so viel wie bis
1969 unter der Monarchie, als die großen westlichen Konzerne die Ölpolitik des
Landes bestimmten. Nur in zwei Ländern sieht die Ölbranche das Potential, die Produktion in absehbarer Zeit verdoppeln zu
können – in Libyen und im Irak. Libyen plant jedoch lediglich eine Steigerung
auf 2,3 Million bpd. Aus Sicht der
Ölmultis liegt allein hier schon ein erhebliches, brachliegendes Potential.
Nach dem Sturz des von den USA und den Briten eingesetzten Königs Idris im Jahr
1969 waren nach und nach die meisten ausländischen Unternehmen verdrängt und
die Ölproduktion in die Hände der staatlichen Libyschen Nationalen
Ölgesellschaft LNOC überführt worden. Dies war besonders für US-amerikanische
Konzerne, die bis dahin 87,5 Prozent der Ölproduktion
in ihren Händen hielten, ein herber Verlust. Libyen entwickelte sich bald zum
Vorreiter der OPEC-Staaten und setzte als erstes Land
höhere Preise für sein Öl durch. Innerhalb von zehn Jahren verfünffachten sich nun die Staatseinnahmen. Mit diesen
Einnahmen konnte der Staat seinen Bürgern einen relativ hohen Lebensstandard
verschaffen, den höchsten Afrikas. Sozialistische Ideen spielten bei allen damaligen Revolutionen eine wichtige Rolle. Libyen
setzte sie jedoch wesentlich gründlicher um als andere
Länder der Region. Gesundheit und Bildung sind seitdem
kostenlos, wichtige Güter und Dienstleistungen werden subventioniert, Alte,
Witwen und Waisen erhalten eine Rente, Arbeitslose finanzielle Unterstützung
u.v.m.
Es gelang jedoch nicht, Libyens Abhängigkeit vom Erdölexport
zu verringern. Niedrige Rohölpreise und die gegen das Land verhängten
Sanktionen brachten die Wirtschaft in den 1990er Jahren an
den Rand des Ruins. Das Bruttoinlandsprodukt hatte sich am Ende fast halbiert,
jegliche Modernisierung der Infrastruktur war blockiert. Die libysche Führung
suchte daher nun einen Ausgleich mit dem Westen und machte dabei erhebliche
Konzessionen. U.a. lieferte sie 1999 zwei Offiziere an
Großbritannien aus, die für den Bombenanschlag auf ein Verkehrsflugzeug über
dem schottischen Lockerbie verantwortlich gemacht wurden, obwohl die Beweise
dafür äußerst zweifelhaft waren.
Die UN-Sanktionen wurden daraufhin ab 1999 sukzessive gelockert und 2004
vollständig aufgehoben. Im Gegenzug öffnete Libyen seine Öl- und Gasindustrie
für ausländische Unternehmen. Mittlerweile sind wieder
alle großen US-amerikanischen und europäischen Konzerne der Branche im Land
aktiv.
Die Bedingungen im nordafrikanischen Land sind
für ausländische Firmen jedoch sehr rauh. Seit August 2004 werden die Öl- und
Gasgeschäfte nach dem neuen sogenannten EPSA-4-System abgeschlossen (EPSA:
Exploration and Production Sharing Agreement). Das Vergabeverfahren für die
neuen Beteiligungsabkommen wird zwar als sehr
transparent gelobt – den Zuschlag erhält derjenige, der sich mit dem geringsten
Anteil am geförderten Öl bzw. Gas zufriedengibt –, für westliche Manager wie
Bob Fryklund vom US-Multi ConocoPhillips enthalten die Abkommen jedoch die
strengsten Konditionen der Welt. Westliche Medien sprechen sogar von »Knebelverträgen«.2
Geschäfte sind nach diesem System grundsätzlich nur in Partnerschaft mit LNOC
oder anderen staatlichen Unternehmen möglich, die dabei stets die
Mehrheitsanteile (meist 60 Prozent und mehr) und somit die Kontrolle behalten.
Schon für den Abschluß eines Vertrages sind hohe
Zeichnungsgebühren zu entrichten. Bei der zweiten, 2005 durchgeführten
Bieterrunde mußten die Interessenten z.B. jeweils 133 Millionen Dollar allein
für den Vertragsabschluß hinblättern und Investitionen in Höhe mehrerer hundert
Millionen Dollar für Explorationen zusichern. Die Konzerne, die den Zuschlag
erhalten, tragen anschließend den größten Teil der Entwicklungskosten eines
Ölfelds, die LNOC bleibt jedoch alleinige Eigentümerin.
Generell ist der Anteil der Produktion, den
ausländische Firmen für sich behalten können, mit durchschnittlich elf Prozent
recht bescheiden. Doch dafür ist das Öl von bester Qualität und liegt sehr nahe
bei den europäischen Abnehmern, an die rund 70 Prozent
der libyschen Exporte gehen. Der Anteil libyschen Erdöls am Verbrauch der
EU-Staaten liegt mittlerweile bei zehn Prozent, in Deutschland sind es sechs Prozent.
Innerhalb von drei Jahren führte die LNOC vier Bieterrunden durch und vergab
dabei 52 Verträge an knapp drei Dutzend Gesellschaften
aus 20 Ländern. Nicht nur die großen US-Konzerne zogen wieder in Libyen ein,
sondern weit mehr noch russische, chinesische und andere asiatische Firmen. Die
ergiebigsten Ölfelder blieben zum großen Ärger der Multis weiterhin
ausschließlich der LNOC und ihren Töchtern vorbehalten.
Die Hoffnungen, daß Ausländern auch noch diese Filetstücke zugänglich gemacht
werden, erfüllten sich nicht. Nach der vierten Vergaberunde entschied die LNOC,
vorerst keine neue durchzuführen, sondern statt dessen die bestehenden Verträge
nachzuverhandeln und dabei die älteren dem strengeren EPSA-4-Standard
anzupassen – für die Ölfirmen waren dies schwere finanzielle Rückschläge.
Petro-Canada mußte z.B. für die Umstellung aller Verträge eine Abschlußgebühr
von einer Milliarde Dollar bezahlen sowie Investitionen in Höhe von knapp vier
Milliarden Dollar für die Erneuerung alter und die Erforschung neuer Öl- und
Gasvorkommen bereitstellen. Gleichzeitig mußten die Kanadier die Reduktion
ihres Anteils am Output auf zwölf Prozent akzeptieren. Anderen
Firmen erging es nicht besser.
Die großen Konzerne versuchten sich natürlich dagegen zu wehren. Letztlich hatten sie jedoch wenig in der Hand. Da sie
bereits erhebliche Summen in die Erkundung gesteckt hatten, kam ein Ausstieg nicht
mehr in Frage. Die LNOC drohte zudem damit, die weitere Entwicklung der
Ölförderung zukünftig auch allein durchzuführen.
Für weiteren Unmut sorgten vor zwei Jahren öffentliche
Überlegungen Ghaddafis, angesichts sinkender Mineralölpreise einige Einrichtungen
internationaler Ölkonzerne wieder zu verstaatlichen. Auch die Mitteilung
der LNOC an die im Land aktiven US-Konzerne im März
letzten Jahres, Washingtons erneut unfreundliche Politik könne negative
Auswirkungen auf ihre Geschäfte im Lande haben, verunsicherte die Branche,
deren Investitionsvolumen in Libyen mittlerweile auf über 50 Milliarden Dollar
geschätzt wird.
Liberalisierung
vs. Libyenisierung
Zur gleichen Zeit kamen aus Tripolis aber
auch andere Töne. Führende Kader aus dem
»Ausschuß für Privatisierung und Investitionen« kündigten z.B. gleichfalls im
März 2010 an, bis 2020 die Hälfte aller Staatsbetriebe
in die Hände privater Investoren übergeben zu wollen.
In der libyschen Führung herrschen offensichtlich zwei Tendenzen vor: Die eine
setzte auf eine stärkere Privatisierung und wollte mit besseren Konditionen für
westliche Konzerne und Banken mehr ausländisches Kapital anlocken. Die andere
wollte die Kontrolle über die Ressourcen des Landes behalten und propagierte
eine stärkere »Libyenisierung« der Ölproduktion.3 Letztere behielt, gestützt
auf die Stimmung in der Bevölkerung, meist die Oberhand.
Trotz vollmundiger Ankündigungen umfassender Privatisierungspläne, mit denen
große Erwartungen in der westlichen Geschäftswelt geweckt wurden, ist außerhalb des Öl- und Gassektors nicht viel passiert.
2000 hatte die libysche Führung zwar angekündigt, daß der Staat sich aus der
Industrieproduktion zurückziehen wolle und im November 2003 auch eine Liste der
ersten 360 Privatisierungskandidaten veröffentlicht. Die sich infolge
steigender Ölpreise rasch entspannende Finanzlage des Landes nahm dem Verkauf
von Staatsbetrieben jedoch jegliche Dringlichkeit. Bis 2010 waren erst 110
Staatsbetriebe tatsächlich privatisiert worden.4 Zum größten Teil waren es
kleinere Firmen, die an libysche Unternehmen oder
Tascharukiayyas (Genossenschaften) verkauft wurden.
Selbstverständlich machten ausländische Konzerne blendende
Geschäfte im Land, das nach langen Embargojahren einen großen Nachholbedarf
hatte und in großem Stil Infrastrukturprojekte vorantrieb. Siemens z.B.
setzte in den letzten Jahren mehrere hundert Millionen Euro mit Schaltanlagen
und Gasturbinen sowie Steuerungssystemen, Pumpen, Motoren und Antrieben für das
Wasserversorgungsprojekt »Great-Man-Made-River« um. Allein im
Geschäftsjahr 2010 betrug der Umsatz mit libyschen Kunden 159 Millionen Euro.
Ein Einstieg in libysche Firmen und Banken blieb
ausländischem Kapital jedoch weitgehend verwehrt.
Wirksamer Widerstand gegen die Privatisierungspläne kam jedoch nicht allein von
alten Kadern in der Regierung und Verwaltung, sondern aus der gesamten
Gesellschaft. Bereits im September 2000 erschien in Al-Zahf Al-Akhdar, einer
Zeitschrift, die als Sprachrohr der Basisvolkskongresse angesehen wird, ein
Bericht, in dem die wachsende Geschäftstätigkeit ausländischer Firmen im Land
scharf kritisiert und als Gefahr für die libysche Gesellschaft dargestellt
wurde. Die öffentliche Kritik an der
Liberalisierungspolitik verschärfte sich 2005, als einige Subventionen abgebaut
und Importzölle abgeschafft wurden. Der reformorientierte
Ministerpräsident Schukri Ghanem wurde daraufhin abgesetzt und mußte sich mit
dem Chefposten der LNOC begnügen. Die Ölmultis wurden nun angewiesen,
alle Jobs, für die keine speziellen Kenntnisse nötig sind,
an Libyer zu vergeben, und zwar zu denselben Bedingungen wie für ausländische
Angestellten. Zusätzlich wurden sie gesetzlich zu deren
Weiterbildung verpflichtet.
Eine klare Absage erhielten die Pläne einer Liberalisierung der Wirtschaft und
des Abbaus von Subventionen schließlich auch, wie FAZ-Korrespondent Christoph
Ehrhardt aus Tripolis berichtete, von den Basisvolkskongressen bei deren
Sitzungen im Februar 2009.5
Die Befürworter neoliberaler Reformen waren zunehmend frustriert. Ihre entschiedensten Verfechter, wie Mahmud Dschibril und Ali
Al-Issawi, sitzen nun in den führenden Positionen der Gegenregierung.
Die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren sie jedoch offensichtlich nicht.
Ähnlich wie 1999 gegen Serbien dienen der Krieg, die Sanktionen und die immer umfassendere Zerstörung der Infrastruktur daher
auch dazu, deren Widerstand zu brechen.
Im Visier westlicher Banken und Konzerne liegt dabei nicht nur die
Petrolindustrie. Aufgrund seiner außerordentlich hohen Liquidität streben sie
z.B. auch schon lange einen Einstieg in den libyschen Banksektor an. Während
führende Ökonomien der Welt mit riesigen Defiziten zu kämpfen haben, die ihre
Währung schwächen und ihnen die Neuaufnahme von Krediten erschweren, monierte
der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem Jahresbericht 2010 zu Libyen,
das Land sitze auf einem Überschuß von 150 Milliarden Dollar.
Hier ist Abhilfe schon in Sicht. Gleich nach
Verabschiedung der UN-Resolution 1973 gründete der Übergangsrat in Bengasi
parallel zu einer neuen »Libyschen Ölgesellschaft« auch die neue »Zentrale Bank
von Libyen«. So wie die neue Ölgesellschaft dazu bestimmt ist, der staatlichen
LNOC die Geschäfte in den vom Übergangsrat kontrollierten Gebieten zu
entreißen, soll die neue Finanzinstitution offenbar, wie Äußerungen westlicher
Politiker nahelegen, das eingefrorene Auslandsvermögen des Landes übernehmen.
Während die libysche Zentralbank zum Ärger der westlichen Finanzwelt völlig
unabhängig von ausländischen Banken und dem Internationalen Währungsfonds ist, wird die neue von Anfang an unter den Fittichen
europäischer Großbanken stehen. Vertreter des britischen Bankgiganten HSBC, der
den größten Anteil am libyschen Auslandsvermögen verwaltet, eilten als erste nach Bengasi, um den Aufbau der Rebellenbank zu
betreuen. Die italienische Großbank UniCredit, die Nummer zwei in Europa,
folgte auf dem Fuße. Ihr Vizepräsident ist der
bisherige Chef der libyschen Zentralbank, Farhat Omar Bengdara, der sich
gleichzeitig auch um den Zugriff der selbsternannten Gegenregierung in Bengasi
auf das eingefrorene libysche Auslandsvermögen bemüht.
Schließlich weckt sicherlich auch das gewaltige Wasserprojekt »Great Man-Made
River«, durch das die Küstenstädte mit den unter der Sahara liegenden
Grundwasservorräten versorgt werden, schon lang Begehrlichkeiten. 4000
Kilometer Pipelines mit dem Durchmesser von Straßentunneln bringen heute
bereits 6,5 Millionen Kubikmeter pro Tag zu den
Verbrauchern. Aktuellen Schätzungen zufolge reichen die gigantischen
Wassermengen, mit denen man das Territorium Deutschlands 1000 Meter unter
Wasser setzen könnte, noch mehrere tausend Jahre lang.
Libyen hat das Projekt, in das bereits über 25 Milliarden Dollar flossen,
bisher vollständig in Eigenregie betrieben und ohne ausländisches Geld
finanziert – schon das, so der brasilianische Journalist Pepe Escobar, war aus
Sicht westlicher Banken und Konzerne »ein sehr schlechtes Beispiel« für
Entwicklungsländer.6 Weltweit wird die Wasserversorgung zunehmend zum lukrativen
Geschäft. Beherrscht wird es von französischen Konzernen, den
»drei Schwestern« Veolia, Suez-Ondeo und SAUR, die sich zusammen bereits 40
Prozent des Weltwassermarktes teilen. Angesichts der
geringen Förderkosten könnte man schon heute bei den aktuellen Wasserpreisen
von zwei Euro und mehr pro Kubikmeter problemlos Einnahmen von über vier
Milliarden Euro erzielen – und das jahrhundertelang.
Es geht jedoch nicht nur um die libyschen Ressourcen. Die gleichzeitige
französische Intervention in der Elfenbeinküste wie die forcierte Ausweitung
der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten auf weitere, über Libyen
hinausgehende Ziele hin: die Sicherung und Ausweitung westlicher Dominanz auf
dem gesamten Kontinent, um dessen Rohstoffressourcen ein erbitterter Wettkampf
stattfindet.
Die Konkurrenz wirtschaftlich aufstrebender Nationen auf dem schwarzen
Kontinent, allen voran China, wird von Washington als
große Bedrohung wahrgenommen. Eine Reaktion auf diese Entwicklung war die Gründung von AFRICOM als eigenständiges
Oberkommando der US-Streitkräfte für Afrika. Ein entscheidender Anstoß dafür
war ein Report der »Afrikanischen Öl-Politik-Initiativen-Gruppe« AOPIG von 2002
gewesen, der hervorhob, daß die USA bis 2015 über 25 Prozent ihres Erdöls aus
Afrika beziehen werden, und auf die zunehmend engeren Beziehungen zwischen
afrikanischen Ländern und China hinwies.
»Es geht nicht nur um das libysche Öl, sondern um die afrikanischen Ölreserven
und die Rohstoffe des ganzen Kontinents«, befürchtet daher auch Molefi Asante,
Professor für Afrikanisch-Amerikanische Studien an der Temple University in
Philadelphia.7
China unterhält im Unterschied zu den USA und Frankreich keine
Militärstützpunkte in Afrika, hatte aber, wie eine Karte im »Atlas der
Globalisierung 2009« von Le Monde diplomatique zeigt, 2008 zu ebenso vielen
Ländern wie diese militärische Beziehungen in Form von Ausbildung, Ausrüstung,
logistischer und technischer Unterstützung. In den drei Jahren, die AFRICOM
existiert, haben die USA Boden gutgemacht. Fast alle afrikanischen Länder
ließen sich seither in militärische Partnerschaften einbinden. Manche nahmen
nur Militärhilfe in Form von Ausrüstung und Ausbildung an, viele beteiligten
sich aber auch bereits an gemeinsamen Manövern. Nur fünf Staaten verweigerten sich bzw. wurden
nicht gefragt: Libyen, Sudan, die Elfenbeinküste, Eritrea und Simbabwe.
In der Elfenbeinküste hat das französische Militär nach den umstrittenen Wahlen
mit Alassane Ouattara einen stellvertretenden Direktor des Internationalen
Währungsfonds ins Präsidentenamt gehievt, der das Land jetzt in das von den USA
und der NATO geformte Militärbündnis »West African Standby Force« führen wird.
Der Sudan wurde geteilt, Libyen liegt unter Feuer, und Simbabwe gilt neben
Syrien als wahrscheinlichster Kandidat für den
nächsten Angriff der NATO-Staaten.
Die libysche Regierung boykottierte zudem die von der EU gegründete
»Mittelmeerunion«, die zusammen mit dem »Mittelmeerdialog« der NATO darauf
zielt, die arabische Welt und Nordafrika – analog zu Osteuropa – in den
Herrschaftsbereich der USA und der EU einzubinden. Ghaddafi nannte sie jedoch
einen »neokolonialen Trick« zur Zerstörung der arabischen und afrikanischen
Einheit und blieb den Treffen fern.
Mit seinem Engagement für
die wirtschaftliche Unabhängigkeit und die Einheit der afrikanischen Länder
steht Libyen dem Bemühen der USA und der alten Kolonialmächte, ihren Einfluß in
Afrika wieder auszuweiten, diametral entgegen. »Es war Ghaddafis Libyen, das
Afrika die erste Revolution in neuester Zeit ermöglichte«, schrieb der
Kameruner Experte für Geostrategie Jean-Paul Pougala, »die den ganzen Kontinent
durch Telefon, Fernsehen, Radio und verschiedene andere Anwendungen wie
Telemedizin und Fernstudium verband«. Denn es war libysches Kapital, das
entscheidend zur Realisierung des ersten afrikanischen
Telekommunikationssatelliten beitrug. Über zehn Jahre lang hatten die 45
afrikanischen Staaten, die sich 1992 in der RASCOM (Regional African Satellite Comunication
Organization) zusammengeschlossen hatten, vergeblich versucht, genügend Kapital
für einen eigenen Satelliten aufzutreiben, um sich von den horrenden
Telefongebühren europäischer und amerikanischer Firmen befreien zu können. Doch
Weltbank, IWF, USA und EU hielten die Afrikaner nur hin. 2006
beendete Libyen das unwürdige Spiel und stellte 300 Millionen Dollar für das
Projekt zur Verfügung. Die Afrikanische Entwicklungsbank steuerte
weitere 50 Millionen bei. Nachdem der erste Satellit im Dezember 2007 seinen
Dienst aufgenommen hatte, stiegen auch China und Rußland ins Geschäft ein,
weitere Satelliten wurden in den Orbit geschossen und machten die Afrikaner
Schritt für Schritt von den westlichen Systemen unabhängig, denen dadurch nun
Hunderte Millionen Dollar jedes Jahr an Einnahmen verlorengehen.
Eine direkte Bedrohung des westlichen Einflusses ist der Aufbau dreier
unabhängiger afrikanischer Finanzinstitute, mit dem die Afrikanische Union
begonnen hat und für deren Gründung libysche Gelder die Basis bilden: die
Afrikanische Investmentbank, der Afrikanische Währungsfonds und die
Afrikanische Zentralbank. Die Entwicklung dieser Institute würde es den
afrikanischen Ländern ermöglichen, sich der Kontrolle von Weltbank und
Internationalem Währungsfonds (IWF), die bisher als
Instrumente der neokolonialen Herrschaft fungieren, zu entziehen. Der
Afrikanische Währungsfonds soll zukünftig die gesamten afrikanischen
Aktivitäten des IWF übernehmen, die, so Pougala, mit einem Umfang von nur 25
Milliarden Dollar einen ganzen Kontinent in die Knie zwangen. Mit Hilfe der
Afrikanischen Zentralbank könnten sich die 14 ehemaligen französischen Kolonien
eine neue Währung schaffen, die den CFA-Franc endlich ablöst, der nach wie vor
Frankreichs wirtschaftliche Dominanz in diesen Ländern sichert. Diese wird ohnedies bereits durch Libyens wachsenden Einfluß in
diesen Ländern, der massive Auswirkungen auf deren Rohstoffexportkonditionen
hat, in Frage gestellt.
Siegt die Kriegsallianz, so würde das all diesen afrikanischen Unternehmungen
einen schweren Schlag versetzen. Bereits jetzt sind
viele Projekte, die von libyschen Unternehmen wie der
Libysch-Arabisch-Afrikanischen Investment-Gesellschaft südlich der Sahara
betrieben werden, durch das Einfrieren der libyschen Fonds blockiert.
Es ist daher nicht übertrieben, wenn der nigerianische Poet und Journalist Obi
Nwakanma schreibt, der Einsatz westlicher – insbesondere französischer –
Truppen in Afrika stelle »eine neue strategische Kriegserklärung gegen Afrika,
die afrikanischen Interessen und den afrikanischen Kontinent« dar.
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Anmerkungen:
1 Ingar Solty, Öl, Kontrolle und Ideologie, Sozialismus 25.4.2011
2 Alle wollen Libyens Öl, Zeit online, 6.5.2009, siehe auch Energy profile of
Libya, Encyclopedia of Earth , 25.8.2008
3 Jan Köstner, Ölstaat mit Potential – Libyen verfügt über die größten
Petroleumreserven Afrikas, junge Welt, 1.4.2011
4 New Head Of Libyan Privatization Board Welcomes U.S. Firms, US-Botschaft in
Tripolis, 16.2.2010, Wikileaks Cables
5 Christoph Ehrhardt, Öl in Libyen – Alle Milliarden dem Volke –
»Basisvolkskongresse« beschäftigen sich in Libyen mit der Frage, wer wie viel
aus dem Ölreichtum bekommen soll., FAZ, 27.2.2009
6 Pepe Escobar, There’s no business like war business, Asia Times, 30.3.2011
7 Colin Benjamin, Libya, AFRICOM, And US Scramble For Africa, Black Star News,
8.4.2011
Quelle: jungewelt.de
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