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Drachenwut's PolitikblogPolitische KorrektheitPolitische Korrektheit (dengl. pollitickel koräktnäss) ist heutzutage, dass logisch-auf sich beruhende Gegenteil von faktischer Korrektheit. |
Erwin
Teufel, Sohn eines Bauern, war einst Deutschlands jüngster Bürgermeister. Als
er 2005 als Ministerpräsident abtrat, folgten ihm in Stuttgart erst Oettinger,
dann Mappus, und heute ist die CDU in der Opposition. Ein Grüner ist
Ministerpräsident, der als Vorbild - Erwin Teufel nennt. Die Rede, die wir
dokumentieren, hielt Teufel in Berlin vor der Seniorenunion.
"Die Staatschefs brechen das Recht":
Erwin Teufel
Wir haben uns über große
Erfolge der Union gefreut, und wir haben Niederlagen erlitten und sind wieder
aufgestanden. Die CDU/CSU blieb die große Volkspartei der Mitte, die Partei der
Christdemokraten, die Partei der Sozialen Marktwirtschaft, die Partei von
Konservativen, die Werte bejahen, die immer gelten, die Partei der Liberalen,
die sich für den Rechtsstaat und die Freiheit einsetzen, die Partei der
sozialen Gerechtigkeit und der großen Sozialreformen, die Partei der
Familienpolitik, die Partei der Selbständigen und des unselbständigen
Mittelstands und die Partei der freien Berufe und die Partei der Arbeitnehmer.
Uns alle macht heute
besorgt, ob die CDU/CSU so stark bleibt, dass gegen sie nicht regiert werden
kann. Das scheint mir das entscheidende Ziel zu sein. Ob sie den Charakter und
die Zustimmung der Bürger als Volkspartei behält oder ob sie auf Dauer auf ein
Drittel der Wählerschaft abgeschmolzen bleibt - und damit auch noch zufrieden
ist.
Die Lage ist ernst, wie jeder aus vielen Gesprächen weiß. Wir haben eine Landtagswahl nach der anderen verloren. Wir sind in Umfragen jüngsten Datums auf Bundesebene bei 34,5 Prozent. Wer es mit unserer Partei gut meint, folgt nicht blind jedem Kurs und jedem Kurswechsel, sondern bildet sich ein eigenes Urteil. Er hört auf die Bürger und Fachleute. Er betrachtet die Wirklichkeit und nutzt seine Lebenserfahrung und sein Urteilsvermögen für Analysen und Orientierungen. Nur damit ist der Union gedient.
Bei der
letzten Bundestagswahl 2009 hat die CDU mit der CSU noch 33,8 Prozent der
Stimmen erhalten, ein noch schlechteres Wahlergebnis als 2005. Trotz des hohen
Ansehens der Bundeskanzlerin Angela Merkel fiel die CDU/CSU auf den
schlechtesten Stand seit 1949. Wir haben also allen Grund, nach den Ursachen zu
fragen. Der Darstellung von Wählerwanderungen entnehme ich, dass die CDU/CSU
bei dieser Bundestagswahl 1 140 000 Wähler an die FDP verloren hat - und
weitere 1 080 000 Wähler an die Gruppe der Nichtwähler.
Beides war schon vor der Wahl sichtbar, wenn auch nicht in dieser
Dimension. Ich sage mit Nachdruck, CDU und CSU müssen diese Wähler
zurückgewinnen, wenn wir mehrheitsfähig bleiben wollen. Bei gezielter
Anstrengung ist es sehr viel leichter, diese langjährigen Unionswähler
zurückzugewinnen, als in einer solchen Größenordnung neue Wählerschichten zu
erschließen.
Die Unionswähler, die zur FDP gingen, sind Angehörige des selbständigen
und unselbständigen Mittelstandes, Unternehmer, freie Berufe vom Rechtsanwalt
und Architekten bis zum Arzt und Apotheker. Sie haben festgestellt, dass sich
nicht nur die SPD-Führung von der Agenda 2010 verabschiedet hat, sondern auch
die CDU-Führung von den Beschlüssen des Leipziger Parteitages.
Die Menschen müssen spüren,
dass Wirtschaft kein Selbstzweck ist
Diese Wähler können zurückgewonnen werden mit einem klaren Profil der
CDU in der Wirtschafts- und Finanzpolitik; etwa mit einer Steuerstrukturreform,
für welche die Vorlagen bereitliegen (Modelle Kirchhof, Solms, Merz, Leipziger
Parteitag). Ich meine, eine solche Steuerstrukturreform muss Vorrang haben vor
jeder Steuerentlastung. Vor kurzem hat Professor Kirchhof ein solches Buch
herausgegeben. Das ist durchdacht, das ist nicht in allgemeinen Leitlinien
formuliert, sondern paragraphenscharf und in Verordnungen. Das könnte
übernommen und realisiert werden. Die letzte wirkliche Strukturreform hat es
unter dem Reichsfinanzminister Matthias Erzberger in der Weimarer Republik gegeben.
Ich glaube, die Menschen müssen spüren, dass Wirtschaft kein Selbstzweck
ist, sondern von Menschen für Menschen gemacht wird. Noch heute bekomme ich
Briefe von jungen Akademikerinnen und Akademikern, die ein Praktikum nach dem
anderen machen und keine feste Anstellung haben, und ich lese jeden Tag, wir
müssen Fachleute importieren aus anderen Ländern. Nein, wir müssen zuerst
unseren eigenen jungen Leuten Beschäftigungschancen ermöglichen. Unsere
Wirtschaft muss den Frauen gleichwertige und gleich bezahlte
Beschäftigungschancen bieten. Ich kann es nicht für gerecht halten, dass eine
Frau 30 Prozent weniger verdient, wenn sie die exakt gleiche Arbeit tut wie ein
Mann.
Unsere Wirtschaftspolitik muss Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger in
Arbeit bringen. Arbeit muss sich lohnen, und wer nicht arbeitet, darf nicht
genauso gestellt werden wie ein Arbeiter. Das in jeder Hinsicht erfreuliche
Wirtschaftswachstum und die starke Erhöhung der Steuereinnahmen brauchen wir
vor allem zur Reduzierung der Neuverschuldung und zur Schuldentilgung.
"Das Maß der Wirtschaft ist der Mensch", sagt Wilhelm Röpke.
Auch das Maß der Politik müssen der einzelne Mensch und das Wohl aller sein.
Die FDP hat, wie wir beobachten konnten, in verhältnismäßig kurzer Zeit - ich
hab' das in so kurzer Zeit noch gar nie erlebt - die Million Wechselwähler von
der CDU nicht halten können, sondern wieder verloren. Aber, jetzt kommt der
entscheidende Satz: Die CDU hat bisher diese früheren CDU-Wähler, die zur FDP
gegangen sind, nicht wieder zurückgewonnen.
Die CDU darf nicht das
"C" im Schilde führen, wenn sie sich nicht an ihm orientiert
Noch ist nicht zu erkennen, was die Union unternehmen will, um die über
eine Million Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen, die nach eingehender
Gewissensprüfung in die Wahlenthaltung geflüchtet sind, obwohl sie Stammwähler
der CDU waren, bis hin zu Mitgliedern. Ihre politische Heimat ist nach wie vor
die CDU. Sie haben keine oder noch keine andere Partei gewählt. Aber sie können
sich nicht mehr mit wichtigen Teilbereichen der CDU-Politik identifizieren.
Auch sie sind leichter zurückzugewinnen, als Wechselwähler oder Stammwähler
anderer Parteien neu zu gewinnen sind. Allerdings nicht durch Zuwarten, sondern
nur durch eine klare Profilierung der CDU, konkret auch des "C".
Diese Stammwähler hören nur, dass sie zu einer Randgruppe gehören, die nicht
mehr mehrheitsfähig sei.
Die CDU/CSU hat ein viel größeres Potential, als sie derzeit bei Wahlen
realisieren kann. Sie muss sich nur im Alltag auf das besinnen, was sie in ihrer
Geschichte groß gemacht hat. Es ist die europäische Einigung, das Bündnis mit
den Vereinigten Staaten von Amerika, der "Weg nach Westen". Es war
die Ablehnung aller Ideologien und aller totalitären Systeme. Es ist die
Bejahung des Rechtsstaats, den ich für die größte Errungenschaft unserer Kultur
und Geschichte halte. Es war der Wille zur Versöhnung und zu guter
Nachbarschaft, die Ablehnung von Gewalt und die Friedensliebe. Es war der
unbedingte Vorrang der Freiheitsrechte und Grundrechte der Menschen und ihrer
Würde als Geschöpf Gottes. Es war die Werteordnung der evangelischen
Sozialethik und der katholischen Soziallehre.
Das alles ist nach meiner festen Überzeugung auch heute noch
mehrheitsfähig. Und dabei kommt es mehr denn je auf glaubwürdige Persönlichkeiten
in Partei, Parlament und Regierung an. Wie entsteht Glaubwürdigkeit? Nur
dadurch, dass Worte und Taten der Handelnden nicht allzu weit
auseinanderliegen. Ich sage bewusst nicht: deckungsgleich sind. Wir alle sind
Menschen, und keiner ist vollkommen.
Die Union bleibt nur mehrheitsfähig, wenn sie für Christen, für
Konservative, für Liberale und für suchende und offene junge Menschen wählbar
bleibt. Wir hatten noch nie eine so offene junge Generation bar jeder Ideologie
wie die heutige an der Oberstufe unserer Gymnasien und an unseren
Universitäten. Die hören zu! Die überlassen das Feld der Diskussion nicht mehr
einigen Ideologen, sondern die sind bereit, auch andere Meinungen zu
übernehmen, die sie für glaubwürdig halten. Wir müssen ihnen zuhören und ihre
Fragen beantworten.
Ich denke daran, dass ich mit 16 Jahren wegen des "C" und
wegen der Sozialen Marktwirtschaft in die CDU eingetreten bin und wegen Konrad
Adenauer und Ludwig Erhard. Diese Grundentscheidungen für Europa, für die Werte
der Sozialen Marktwirtschaft sind nicht nur in der Vergangenheit dringend nötig
gewesen, sondern auch heute, wenn wir mehrheitsfähig bleiben wollen. Die
Hauptgruppe unserer Wähler und unserer potentiellen Wähler sind nach wie vor
Menschen, für die christliche Werte in der Erziehung, in der Familie, im Beruf,
in der Politik wichtig sind. Sie sehen sich in ihrem Tun nicht nur in
Verantwortung vor den Wählern und Bürgern, sondern auch in einer
Letztverantwortung vor Gott.
Die CDU ist kein verlängerter Arm der Kirchen. Wir bejahen aus
Überzeugung die Trennung von Kirche und Staat, weil beide ganz unterschiedliche
Aufgaben haben. Aber wir sind für eine gute Zusammenarbeit mit den Kirchen in
allen Bereichen, in denen es für die Menschen gut ist. Wir bejahen einen
Weltauftrag der Christen, Nächstenliebe und Solidarität für Arme und
Randgruppen im eigenen Land und weltweit. Wir orientieren uns an der
Wirklichkeit, am Gemeinwohl, an den Grundrechten des Menschen und den
Grundwerten des Christentums. Die CDU hat nur zwei Möglichkeiten, aber nicht
drei. Die CDU kann sich in Zukunft am "C" orientieren, oder sie kann
das "C" aufgeben, aber es gibt keinen dritten Weg. Sie darf nicht das
"C" im Schilde führen, wenn sie sich nicht an ihm orientiert.
Erziehung ist Arbeit und
sollte auch vergütet werden
Einer meiner Landsleute, ein großer Nationalökonom, Friedrich List, hat
vor 160 Jahren gesagt, die Aufzucht von Schweinen gehe in das
Bruttosozialprodukt ein. Die Aufzucht von Kindern geht nicht in das
Bruttosozialprodukt ein. Wir sind 160 Jahre später keinen Schritt weiter.
Selbstverständlich gehen die Erziehung eines Kindes im Kindergarten, die
Betreuung eines Kindes im Hort in das Bruttosozialprodukt ein, und die
Erzieherin bekommt einen Lohn. Selbstverständlich geht die Leistung einer Grundschullehrerin
in das Bruttosozialprodukt ein, und sie wird bezahlt, und ich habe den größten
Respekt vor unseren Grundschullehrerinnen - meistens sind es ja Lehrerinnen -
die sechs und acht und zehn Nationen in einer Klasse haben. Sie bringen einen
größeren Beitrag für die Integration von Ausländern als alle Parlamente
zusammengenommen.
Aber: Die Erziehung einer Mutter, die Erziehung eines Vaters geht nicht
ins Bruttosozialprodukt ein. Eines hat sich jedoch verändert in diesen 160
Jahren. Heute ist etwas nur noch etwas wert, wenn es in Geldwert ausgedrückt
werden kann. Und was nicht im Geldwert ausgedrückt werden kann, ist nichts
wert. Und deswegen ist die Erziehung in einer Familie nichts wert, obwohl von
ihr alles abhängt und für alles der Grund gelegt wird. Ein Kind wird zum Leser
in der Familie oder nicht. Ein Kind gewinnt Sprachkompetenz in der Familie. Das
kann gar nicht mehr in der Grundschule nachgeholt werden oder im Kindergarten.
Ein Kind lernt spielen, ein Kind lernt teilen, ein Kind lernt streiten und
versöhnen, ein Kind lernt ein Urvertrauen in der Familie - oder nicht.
Und das alles nennen wir Erziehungs-"Urlaub"! Aber es ist
Erziehungsarbeit und sollte auch vergütet werden. Familien mit einem
Normaleinkommen und mehreren Kindern geraten heute in Deutschland an den Rand
des Existenzminimums. Es geht bei ihnen am Ende des Monats null auf null auf.
Und für den außergewöhnlichen Fall ist überhaupt keine Reserve vorhanden. Und
der außergewöhnliche Fall ist bereits, wenn die Waschmaschine kaputtgeht und
ersetzt werden muss, der außergewöhnliche Fall ist, wenn zwei Kinder
gleichzeitig in ein Schullandheim gehen müssen und man muss zwei-, dreihundert
Euro auf den Tisch legen und die müssen sie mitbringen in die Schule.
Man muss sich mal wirklich hineindenken in die Situation dieser
Familien. Sie sind auch besonders betroffen von der Steigerung der
Nahrungsmittelpreise, von der Erhöhung der Mehrwertsteuer, von der geplanten
starken Erhöhung der Strompreise.
In der Familienpolitik muss sich das "C" zeigen: Das Wohl des
Kindes muss Vorrang haben vor den Interessen der Wirtschaft. In einer
Anerkennung und finanziellen Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern, in
einer vorrangigen Hilfe für Familien mit einem Normaleinkommen und mehreren
Kindern. Früher gab es ein von der CDU eingeführtes Bundeserziehungsgeld für
zwei Jahre. Es war von niedrigen Einkommensgrenzen abhängig. Das Erziehungsgeld
ging also an Eltern, die es am dringendsten brauchten.
Heute hat die CDU ein Elterngeld geschaffen. Es wird aber nur noch ein
Jahr gewährt und ist an das letzte Nettoeinkommen gekoppelt. Eine Mutter, die
als Kassiererin im Supermarkt arbeitet, erhält also etwa 600 Euro im Monat,
eine Bankkauffrau 1200 Euro und eine Akademikerin 1800 Euro. Mütter mit dem
geringsten Einkommen erhalten den niedrigsten Betrag. Das ist die größte
Ungerechtigkeit, die man sich denken kann.
Für Bildung sind die Länder
zuständig
In der Bildungspolitik muss Chancengerechtigkeit durch gleiche
Startbedingungen für alle Kinder geschaffen werden. Das schließt Frühförderung
im Kleinkindalter, im Kindergarten durch Sprachförderung ebenso ein wie die
Senkung des Nachzugsalters von ausländischen Kindern, deren Eltern hier
berechtigterweise leben. Sie haben keine Chance mehr, wenn sie mit sechzehn,
mit vierzehn, mit zwölf, mit acht, mit sechs kommen und nicht die deutsche
Sprache beherrschen. Wenn sie mit drei kommen und drei Jahre im Kindergarten
sind, haben sie die gleichen Startvoraussetzungen in der Grundschule, die sie
sonst nie mehr erreichen.
Das dreigliedrige Schulsystem, das Begabung erkennt und Leistung
fördert, hat über viele Jahre eindeutig bessere Ergebnisse erbracht als die
integrierte Gesamtschule. Die Hauptschule - warum sagt das niemand?! - muss in
Einheit mit der Berufsschule gesehen werden. Ich hätte überhaupt nicht die
moralische Kompetenz, einem jungen Menschen mit zehn Jahren und seinen Eltern
nach der Grundschule zu sagen: "Sie geben vernünftigerweise Ihr Kind
lieber in die Hauptschule", wenn das die Entscheidung fürs Leben wäre.
Aber ein Hauptschüler, der hat die Möglichkeit, nach der Hauptschule an einer
zweijährigen Berufsfachschule auf seine Begabung bezogen zur mittleren Reife zu
kommen. Er hat die Möglichkeit, zu einem beruflichen Abitur zu kommen. Bei uns
kommen schon fast so viele Abiturienten auf diesem zweiten Weg zur
Studienberechtigung wie aus dem allgemeinbildenden Gymnasium. Auch
Meisterprüfungen müssen als Hochschulzugang gewertet werden. Wir brauchen ein
offenes und differenziertes Hochschulsystem.
Ich lese, jetzt wird sich der Bundesparteitag mit der Hauptschule und
der Auflösung der Hauptschule beschäftigen. Wissen Sie, ich frage mich auch,
wofür wir in der Verfassung stehen haben, dass die Länder für die Schulen
zuständig sind, warum wir vor fünf Jahren eine Föderalismusreform gemacht haben
und in dieser Föderalismusreform alle Zuständigkeiten, die der Bund im Lauf von
40 Jahren an sich gezogen hatte in der Bildungspolitik, wieder zurückgegeben
haben an die Länder. Und jetzt beschließt ein Bundesgremium der Partei, wie unsere
Bildungspolitik in den Ländern aussehen soll.
Haben wir so große Ängste,
weil der Glaube verdunstet?
Angst ist heute ein vorrangiges Merkmal der Deutschen in den Augen der
Welt. "German Angst" ist in die englische Sprache eingegangen. Wir
brauchen deshalb, meine ich, vorrangig einen Ausstieg aus der Angst in unserem
Land. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Bei einem der großen deutschen
lebenden Theologen, er ist jetzt 93, Eugen Biser in München, habe ich den Satz
gelesen: "Der Gegensatz zum Glauben ist nicht der Unglaube, sondern die
Angst." Und ich frage mich: Haben wir deshalb so große Ängste, mehr als in
jedem anderen Land, weil bei uns der Glaube verdunstet und vielen von uns
keinen Halt mehr gibt? "Wer glaubt, zittert nicht", sagte der
unvergessene Papst Johannes XXIII.
Die neue Armut bei uns ist Vereinsamung
Die Bewahrung der Schöpfung und die Entlastung der jungen Generation von
Schulden entscheiden darüber, ob sie vergleichbare Lebenschancen hat wie die
Generation ihrer Eltern und Großeltern. Eine am "C" orientierte
Politik schützt das Leben und die Würde des Menschen in jedem Lebensalter vor
und nach der Geburt. Altersarmut ist bei uns im Gegensatz zu früheren
Generationen und im Gegensatz zu heutigen Gegebenheiten in vielen Ländern der
Welt ein Fremdwort. Das muss so bleiben.
Alle großen sozialen Sicherungssysteme wurden in schwierigen Zeiten von
CDU-Regierungen geschaffen. Solidarität und soziale Gerechtigkeit sind eine
Kernkompetenz der CDU und müssen eine Kernkompetenz der CDU bleiben, wenn wir
Mehrheiten erreichen oder behalten wollen. Das sollte insbesondere die CDU
beachten, denn sie wird nur noch von den über 60-Jährigen ganz
überdurchschnittlich gewählt.
Wenn in unserem Land durch ein beispielhaft gutes Gesundheitswesen die Menschen
länger leben als alle ihre Vorfahren, wird es nicht zu vermeiden sein, dass wir
das Renteneintrittsalter heraufsetzen. Aber die Lebenserfahrung, dass Menschen
an der Schwelle des Rentenalters ganz unterschiedlich sind, sollte zu einer
viel größeren Flexibilität führen. Mancher erreicht mit 60 kaum das Ufer. Ein
anderer ist mit 65 und höher noch voll arbeitsfähig und will auch länger
arbeiten. Ein starres Renteneintrittsalter wird dem nicht gerecht.
Selbstverständlich muss einer, der länger arbeitet, auch eine höhere Rente
bekommen als einer, der weniger lange im Arbeitsprozess ist.
Es gibt in unserem Land eine ganz neue Form von Armut. Ich hab sie vor
vielen Jahren definiert gelesen, zum ersten Mal bei einem französischen
Arbeiterpriester, nämlich bei Jacques Loew. Er schreibt: "Arm ist der, dem
niemand zuhört." Mehr als die Hälfte der Haushalte in den deutschen
Großstädten sind heute Einpersonenhaushalte. Da sind natürlich junge Menschen
dabei, die gerne für ein paar Jahre eine sturmfreie Bude haben. Aber da sind
auch unglaublich viele ältere Menschen dabei, die allein sind und vereinsamen. Sie haben das Existenzminimum,
aber sie haben niemanden, der ihnen zuhört.
Die Regierungen haben in
einer Nacht vom Tisch geputzt, was Kohl und Waigel in Jahren aufgebaut haben.
Die Ursache für den Europa-Frust sind heute die überzogene Bürokratie in
Brüssel und, jüngsten Datums, die Unsicherheit über die Zahlungsfähigkeit von
Euro-Ländern und über die Wirksamkeit der Hilfen in Milliardenhöhe. Gegen die
Bürokratie und Unübersichtlichkeit in Brüssel hilft das Subsidiaritätsprinzip.
Wir müssen Europa von den Menschen her denken und von unten nach oben aufbauen.
Das heißt, wir müssen Europa vom Kopf auf die Füße stellen.
Gegen die große Verunsicherung und Skepsis über die Hilfsmaßnahmen für
überschuldete Euroländer helfen nur ein Schuldenschnitt und die konsequente
Wiedereinführung der Stabilitätskriterien und der Unabhängigkeit der
Europäischen Zentralbank, die Helmut Kohl und Theo Waigel erreicht haben - und
die von den Staats- und Regierungschefs in wichtigen Teilen in einer einzigen
Nacht weggeputzt worden sind. Wie soll man von den Bürgern Rechtstreue
verlangen, wenn sich ihre Staats- und Regierungschefs nicht an das Recht und an
abgeschlossene Verträge halten?
Die Regierungen in der Welt müssen auch dafür sorgen, dass durch
internationale Vereinbarungen Raffgier nicht durch Boni belohnt wird. Es muss
verhindert werden, dass durch Spekulieren weit mehr Geld verdient wird als
durch Arbeit und durch Investitionen. Eine Finanztransaktionssteuer könnte dies
alles verhindern. Wir brauchen Europa also heute so dringend wie in der
Vergangenheit, davon hängen unsere Wettbewerbsfähigkeit, unser Wohlstand, unser
Überleben ab.
Die CDU muss wieder die
Partei der einfachen Leute sein
Kurzum: die CDU liegt derzeit weit unter ihren Möglichkeiten. Die CDU
sollte deshalb ihre Stammwählerschaft wieder zu Anhängern machen durch eine
weitsichtige, berechenbare, vertrauenswürdige, wirklichkeitsnahe und
werteorientierte Politik. Die CDU sollte ihre potentiellen Möglichkeiten nicht
selbst kleinreden, sie sollte nicht den Rückgang der Bindung der Menschen an
den christlichen Glauben beklagen und damit fehlende Stimmen begründen, sondern
ihre Politik ausrichten am Schicksal der Menschen.
Dahin müssen wir auf Bundesebene und Landesebene wieder kommen: dass wir
in den Augen der Bürger wieder die Partei der einfachen Leute, die große
Volkspartei der Mitte, sind. Die einfachen Leute sind immer in der Mehrheit.
Und die CDU braucht sich um Mehrheiten nicht zu sorgen, wenn sie die Partei der
einfachen Leute ist.
Quelle: Faz.net
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