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Drachenwut's PolitikblogPolitische KorrektheitPolitische Korrektheit (dengl. pollitickel koräktnäss) ist heutzutage, dass logisch-auf sich beruhende Gegenteil von faktischer Korrektheit. |
Lindau, 24.
August 2011 Treffen
der Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften - Bundespräsident Christian
Wulff eröffnet mit seiner Rede die vierte Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträge
Ihnen allen ein herzliches
Willkommen in Lindau am Bodensee! Zu Beginn ein herzlicher Dank an Sie, Gräfin
Bernadotte, Herr Prof. Schürer und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Stiftung. Sie haben die wirtschaftswissenschaftliche Tagung in Lindau durch
großes persönliches Engagement zu einem weit über Deutschland beachteten
Diskussionsforum gemacht.
17 Nobelpreisträger und
viele hundert junge, talentierte Wirtschaftswissenschaftler aus Ländern rund um
den Globus sind hier unter einem Dach versammelt – das sind Jahrzehnte
bahnbrechender wissenschaftlicher Arbeit und viele weitere Jahre an künftiger
Forschung und Politikberatung. Wir werden sie brauchen. Denn wir befinden uns
in einem entscheidenden Moment. Ich bin jedenfalls davon überzeugt: Später wird
uns deutlich werden, wie sehr das, was wir jetzt tun oder unterlassen, die
kommenden Jahrzehnte bestimmen wird.
Dies ist ein Zeitpunkt, um
uns die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen, getragen von unseren
gemeinsamen Werten vor Augen zu führen. In Europa sollten wir uns bewusst
machen, wie zerrissen und gegensätzlich die vergangenen einhundert Jahre waren
– und was auf unserem Kontinent geschehen ist: In der ersten Hälfte der hundert
Jahre waren das zwei Weltkriege und die Shoa, Weltwirtschaftskrise, die
Trennung Europas im Kalten Krieg. Und was in den letzten 50 Jahren geschaffen
wurde: Erst im Westen, dann in ganz Europa; Frieden, ein gemeinsamer
Binnenmarkt, Wohlstand, ein Raum der Freiheit, der Demokratie und des Rechts.
Was für Errungenschaften! Es ist unsere Aufgabe, diese Errungenschaften in die
Zukunft fortzuschreiben und mit den großen Aufgaben der jetzigen Zeit zu
wachsen. Unser Europa muss uns alle Anstrengung wert sein. Nichts ist
selbstverständlich. Das Schicksal Europas ist das Schicksal aller seiner
Völker. Auch deutsche und europäische Interessen sind nicht voneinander zu
trennen. Dieser Verantwortung sind wir Deutsche uns bewusst. Und:
Schwierigkeiten gab es auch früher. Deren Lösungen sollten Mut machen.
In diesen Wochen zeigt sich
in Europa und in den USA überdeutlich: Die Banken- und Schuldenkrise hat die
Politik, hat die Regierungen und Notenbanken, an Grenzen gebracht. Die
Aufgaben, die Regierungen weltweit zu bewältigen haben, sind immens. Viele
Maßnahmen sind umstritten. Auch die hier versammelten Wirtschaftsnobelpreisträger
haben unterschiedliche Ansichten. Die Regierungen müssen auf dieser unsicheren
Grundlage entscheiden, mutig führen, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit schnell
zurückzugewinnen und dabei im Blick haben, welche Maßnahmen sie ihren Völkern
zumuten können. Das müssen wir bedenken, wenn wir Politiker für zögerliches
Handeln und manchmal widersprüchliches Reden kritisieren.
Als die Krise ausbrach,
bestand auf globaler Ebene schnell Einigkeit. Beschlossen wurden
Konjunkturpakete in einem bislang nie dagewesenen Ausmaß. Dem Finanzsektor und
den Banken eilte man zu Hilfe – mit Steuergeld, Staatsgarantien und massiven
monetären Transfusionen durch die Notenbanken. Es galt, mit allen Mitteln den
Kollaps zu verhindern und den Kreislauf des Patienten Weltwirtschaft zu stabilisieren.
Dies geschah mit dem Vorsatz, den Patienten dann auch baldmöglichst zu
therapieren. Doch immer noch ist der Bankensektor labil, sind die Staatschulden
in den größten Volkswirtschaften auf Rekordniveau und die fundamentalen
Probleme für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit so präsent wie zuvor. Es wurde
mehr Zeit gewonnen, als Zeit genutzt.
Auf dem Deutschen Bankentag
Ende März dieses Jahres hatte ich den Finanzsektor gewarnt: Wir haben weder die
Ursachen der Krise beseitigt, noch können wir heute sagen: Gefahr erkannt –
Gefahr gebannt. Wir sehen tatsächlich weiter eine Entwicklung, die an ein
Domino-Spiel erinnert: Erst haben Banken andere Banken gerettet, und dann haben
Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten.
Wer rettet aber am Ende die Retter? Wann werden aufgelaufene Defizite auf wen
verteilt beziehungsweise von wem getragen?
Über viele Jahre wurden in
vielen Ländern Probleme immer wieder über höhere staatliche Ausgaben, höhere
Schulden und billigeres Geld vor sich hergeschoben. Dabei wurde im großen Stil
konsumiert und spekuliert, anstatt in gute Bildung und Ausbildung, in
zukunftsweisende Forschung und Innovationen zu investieren, in das, was eine
produktive und wettbewerbsfähige Wirtschaft ausmacht. Nun klaffen in den
öffentlichen Kassen Löcher, wertvolles Saatgut wurde verzehrt, statt
fruchtbaren Boden zu bestellen. Politik mit ungedeckten Wechseln auf die
Zukunft ist an ihr Ende gekommen. Was vermeintlich immer gut ging – neue
Schulden zu machen -, geht eben nicht ewig gut. Es muss ein Ende haben, sich an
der jungen Generation zu versündigen. Wir brauchen stattdessen ein Bündnis mit
der jungen Generation.
Ich verstehe die Empörung
vieler Menschen. Es sind ihre Zukunftschancen, die hier auf dem Spiel stehen.
Der Internationale Währungsfonds warnt sogar vor einer „verlorenen Generation“.
Nach meiner Überzeugung
bedeuten alle notwendigen Problemlösungen Zumutungen für alle. So einfach ist
es in der Demokratie und zugleich so schwierig. Aber eine gute Zukunft wird es
nur geben, wenn wir langfristig zurückfinden zu solidem Wirtschaften. Das wird
Einschnitte bedeuten, die auf Zeit schmerzhaft sind; langfristig wird nur dies
Handlungsfähigkeit und Wohlstand bewahren. Wichtig ist, dass die Lasten fair
verteilt werden. Ich verstehe, dass viele nicht nachvollziehen wollen, dass
Bankmanager teils exorbitant verdienen, dass aber zugleich Banken mit
Milliarden gestützt werden. Und Trittbrettfahrer in der Finanzwelt spekulieren
weiterhin darauf, von der Politik und damit letztlich von den Steuerzahlern
aufgefangen zu werden – weil sie zum Beispiel zu groß sind und zu relevant für
den gesamten Wirtschaftskreislauf.
Menschen reagieren
empfindlich, wenn Fairnessprinzipien verletzt werden. Fairness ist ein
Urbedürfnis des Menschen und Grundlage des Funktionierens vieler Gruppen. Das
Versagen von Eliten bedroht langfristig den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Wer sich zur Elite zählt und Verantwortung trägt, darf sich auch nicht in eine
eigene abgehobene Parallelwelt verabschieden. Daran habe ich am 3. Oktober, dem
Tag der Deutschen Einheit, erinnert. Dass es nicht fair zugeht und Lasten
einseitig verteilt werden, dieses Gefühl haben immer mehr Bürgerinnen und
Bürger.
In Europa haben über Jahre
einzelne Mitgliedstaaten falsche statistische Zahlen geliefert, Staatsausgaben
ausufern lassen, niedrige Zinsen für konsumtive Ausgaben genutzt oder sich
durch Steuergestaltung Vorteile verschafft. Fast alle haben zugeschaut. Zu
viele haben sich schlicht über zunehmend desolate Finanzen und wirtschaftliche
Grundsätze hinweggesetzt.
Statt klare Leitplanken zu
setzen, lassen sich Regierungen immer mehr von den globalen Finanzmärkten
treiben. Immer öfter treffen sie eilig weitreichende Entscheidungen kurz vor
Börsenöffnung, anstatt den Gang der Dinge längerfristig zu bestimmen. Dies
trifft unsere Demokratien in ihrem Kern. Ich weiß aus meiner Zeit als
Regierungschef eines Bundeslandes, wie schwer das Handeln gegenüber dem Reden
ist, aber ich weiß aus dieser Erfahrung auch, dass kraftvolles Handeln zur
Konsolidierung des Haushaltes und politische Akzeptanz dafür möglich sind. Ich
empfehle auf europäischer Ebene im Übrigen auch Lettland mit seinem mutigen
Spar- und Reformkurs als ein Beispiel, wie es gehen kann.
Was muss jetzt getan
werden? Wie können Staaten ihre Handlungsfähigkeit wieder zurückgewinnen? Wie
schaffen wir die Voraussetzungen für stabile, langfristig tragfähige
wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen? Wie sichern wir damit
Zukunftschancen für die nachkommenden Generationen?
Zuerst: Politik muss ihre
Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Sie muss sich davon lösen, hektisch auf
jeden Kursrutsch an den Börsen zu reagieren. Sie darf sich nicht abhängig
fühlen und sich am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von
Rating-Agenturen oder sprunghaften Medien. Politik hat Gemeinwohl zu
formulieren, auch mit Mut und Kraft im Konflikt mit Einzelinteressen. Sie hat
Strukturen zu ordnen und gegebenenfalls den Rahmen anzupassen, damit knappe
Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden und Wirtschaft und Gesellschaft
gedeihen. Politik hat langfristig orientiert zu sein und, wenn nötig, auch
unpopuläre Entscheidungen zu treffen. In freiheitlichen Demokratien müssen die
Entscheidungen in den Parlamenten getroffen werden. Denn dort liegt die
Legitimation.
In Europa ist die Liste der
strukturellen Probleme einzelner Mitgliedstaaten all zu bekannt - und alle
Staaten haben ihre unterschiedlichen Aufgaben: Bildungswesen reformieren,
Berufsausbildung verbessern, bürokratische Hürden abbauen, öffentliche
Verwaltung modernisieren, Steuerwesen vereinfachen und Steuerhinterziehung
bekämpfen. Und kein Mitgliedstaat, das müsste eigentlich selbstverständlich
sein, darf Vetternwirtschaft und Klientelpolitik dulden.
Die Zielmarken sind die Grundsätze
der Europäischen Union, die wir vertraglich verankert haben und zu denen wir
schnellst möglich zurückkehren müssen: eine offene soziale Marktwirtschaft mit
freiem Wettbewerb bei stabilen Preisen und gesunden öffentlichen Finanzen. Seit
Jahren verletzen die Mitgliedstaaten, Deutschland eingeschlossen, die einst in
Maastricht beschlossenen Stabilitätskriterien.
Alle Mitgliedstaaten sind
gefordert, die Verpflichtungen aus dem Stabilitätspakt zu erfüllen. Gerade
Deutschland, an das viele ganz besondere Erwartungen richten. Nach Europäischem
Recht sind alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, die öffentlichen Schulden unter
60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückzuführen. In mehr als der Hälfte der
Mitgliedstaaten lag die Schuldenquote im vergangenen Jahr über dieser Marke –
allen voran in Griechenland, Italien, Belgien, Irland und Portugal. Und dann
schon folgt Deutschland mit einer Quote von über 83 Prozent. Wir Deutsche
sollten nicht zulassen, dass ein geschöntes Bild der Kräfte der geforderten
Retter gezeichnet wird.
Unfairness, falsches
Haushalten und Wirtschaften müssen klar und rasch sanktioniert und die
gemeinsamen Regeln ohne Wenn und Aber durchgesetzt werden, egal ob die
betroffenen Mitgliedsländer klein oder groß sind. Wer Hilfe braucht, muss die
Bedingungen erfüllen, ohne die eine Gesundung nicht möglich ist. Die Vielfalt
Europas ist ein großer Vorteil. Denn auf welchen Wegen gemeinsam definierte
Ziele erreicht werden, kann jedes Mitgliedsland im Rahmen seiner
Zuständigkeiten selbst entscheiden.
Nur so schaffen wir wieder
Raum für das, was in diesen Tagen in Europa so oft gefordert wird: Gemeinsinn
und Solidarität. Solidarität ist wesentlicher Teil der Europäischen Idee. Es
ist allerdings ein Missverständnis, Solidarität allein an der Bereitschaft zu
bemessen, andere finanziell zu unterstützen, für sie zu bürgen oder gar mit
ihnen gemeinsam Schulden zu machen.
Was wird da eigentlich
verlangt? Mit wem würden Sie persönlich einen gemeinsamen Kredit aufnehmen? Auf
wen soll Ihre Bonität zu Ihren Lasten ausgedehnt werden? Für wen würden Sie
persönlich bürgen? Und warum? Für die eigenen Kinder – hoffentlich ja! Für die
Verwandtschaft – da wird es schon schwieriger. Vielleicht würden wir bürgen,
wenn nur so der andere die Chance bekommt, wieder auf die eigenen Füße zu
kommen. Sonst doch nur dann, wenn wir wüssten, dass wir uns nicht übernehmen
und die Bürgschaft in unserem, dessen und dem gemeinsamen Interesse ist. Auch
der Bürge kann sich unmoralisch verhalten, wenn er die Insolvenz nur
hinauszögert.
In Europa sind wir alle
Freunde, Partner, Verwandte – die europäische Familie, eine
Solidargemeinschaft. Solidarität bedeutet für mich auch, die Interessen der
jungen Generationen im Auge zu haben. Wer heute die Folgen geplatzter
Spekulationsblasen, sogar jahrzehntelanger Misswirtschaft allein mit Geld und
Garantien zu mildern versucht, verschiebt die Lasten zur jungen Generation und
erschwert ihr die Zukunft. All diejenigen, die das propagieren, machen sich im
Kern „einen schlanken Fuß“ und handeln nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut“.
Mich stimmt nachdenklich,
wenn erst im allerletzten Moment Regierungen Bereitschaft zeigen, Besitzstände
und Privilegien aufzugeben und Reformen einzuleiten. Erst recht, wenn die
obersten Währungshüter dafür auch noch weit über ihr Mandat hinausgehen und
massiv Staatsanleihen - derzeit im Volumen von über 110 Milliarden Euro -
aufkaufen. Dies kann auf Dauer nicht gut gehen und kann allenfalls
übergangsweise toleriert werden. Auch die Währungshüter müssen schnell zu den
vereinbarten Grundsätzen zurückkehren. Ich halte den massiven Aufkauf von
Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für rechtlich
bedenklich. Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen
Union verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die
Unabhängigkeit der Notenbank zu sichern. Dieses Verbot ergibt nur dann Sinn,
wenn die Verantwortlichen es nicht durch umfangreiche Aufkäufe am Sekundärmarkt
umgehen. Der indirekte Kauf von Staatsanleihen ist im Übrigen auch noch teuerer
als der direkte. Wieder verdienen Finanzmarktakteure Provisionen ohne jedes
Risiko.
Eines der Grundprinzipien
der Marktwirtschaft ist: Risiko und Haftung gehen Hand in Hand. Wer Risiken
eingeht, kann auch scheitern. Dieses Prinzip muss auch für den Finanzsektor
gelten, für kleine Anleger wie für große Finanzinstitute. Hier muss Versäumtes
dringend nachgeholt werden – über das hinaus, was in der G20 angestoßen worden
ist.
Der Finanzsektor muss
wieder in eine dienende Rolle zurückfinden und zu einer nachhaltigen globalen
Entwicklung beitragen. Wir brauchen gut funktionierende, leistungsfähige
globale Kapitalmärkte, die dabei helfen, Risiken zu beherrschen, anstatt sie zu
schaffen. Und die Kapital und Ideen zusammenbringen – Ideen zur Lösung der
großen Aufgaben, vor denen die Welt steht. Bei konsequentem Handeln wird sich
die Erholung einstellen – auch dank starker wirtschaftlicher Entwicklungen in
aufstrebenden Regionen. Ich denke zum Beispiel an Brasilien, China, Indien und
Indonesien. Begreifen wir die Krise als Chance und entwickeln die notwendige
Perspektive weltweiter Sozialer Marktwirtschaft mit einem klaren
Ordnungsrahmen.
Lassen Sie mich zu meinem
Anfangsbild zurückkehren: Wir sollten uns fragen, wo wir in 50 Jahren stehen
wollen, was uns für die kommenden Jahrzehnte wirklich wichtig ist. Was macht
Wohlergehen letzten Endes aus, was dient dem Allgemeinwohl? Und was davon
erweist sich als dauerhaft und nachhaltig?
Es mag in der Wissenschaft
bislang keinen Konsens darüber geben, wie persönliches Wohlergehen am besten zu
messen ist. Doch verschiedene Indikatoren, die die persönliche Lebensqualität
von Menschen zu erfassen versuchen, zeigen, dass das Wachstum des
Bruttoinlandsprodukts allein nicht zu einer Steigerung des Glücksgefühls führt.
Immer dann, wenn die materiellen Grundbedürfnisse erfüllt sind, scheint nicht
mehr das materielle „Mehr“ entscheidend für die Zufriedenheit, sondern vielmehr
die Möglichkeit, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sich frei und
in stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen entfalten zu können. Wohlstand
hieße dann vor allem, die Chance zu haben, ein gedeihliches, sinnerfülltes und
kreatives Leben zu führen. Viele Menschen wünschen sich das. Ich begrüße, dass
die Wissenschaft menschliches Verhalten, dessen psychologische und
soziologische Grundlagen künftig stärker experimentell erforschen möchte.
Und einen weiteren Befund
finde ich bemerkenswert: Für die europäischen Länder ist ein enger Zusammenhang
zwischen der Lebenszufriedenheit und dem Vertrauen in die Mitmenschen gemessen
worden. Einander Vertrauen zu schenken, ehrlich miteinander zu sein, ist die
Grundlage für menschliches Wohlbefinden, für Kooperation und Zusammenhalt.
Gerade hier schließt sich der Kreis zur monetären Wirtschaft. Einander Kredit
gewähren ist die Grundlage für eine funktionierende Marktwirtschaft und solides
Wachstum. Auf Vertrauen kommt es an. Wir müssen ehrlich miteinander und mit uns
selbst sein.
Wir müssen offen und
ehrlich Knappheiten benennen, da die Dinge in dieser Welt nicht im Überfluss
vorhanden sind. Der immer wiederkehrende Versuch, die Wirkung von Knappheiten
außer Kraft zu setzen und sich auf diese Weise über Realitäten
hinwegzutäuschen, bringt eben keine dauerhaften Verbesserungen. Dadurch
verschafft man sich im besten Falle Zeit. Das gilt auch für unseren Umgang mit
den Ressourcen der Natur und einem Lebensstil, der von immer mehr Menschen
weltweit angestrebt wird. Auch da setzen wir uns über vorhandene Knappheiten
hinweg – weil wir nicht ehrlich sind und nicht die wahren Kosten in Rechnung
stellen für Energie und Rohstoffe und die Nutzung von Wasser, Luft und Böden.
Wie schon an den
Finanzmärkten sind auch hier Risiko und Haftung oft entkoppelt, und auch hier
wird somit ein Grundprinzip soliden Wirtschaftens verletzt. Dabei leben wir
vielfach nicht nur auf Kosten zukünftiger Generationen, sondern auch auf Kosten
der Schwächsten unserer Zeit. Laut den Vereinten Nationen leiden die Menschen
in den ärmsten Ländern am stärksten unter den Folgen des Klimawandels wie
Dürren oder Überschwemmungen, obwohl sie am wenigsten zu dem Problem
beigetragen haben. Schon vor 25 Jahren hat die Brundtland-Kommission gefordert,
so zu wirtschaften, „dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne
zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht
befriedigen können“.
Wir dürfen die
Annehmlichkeiten der Gegenwart nicht mit unserer Zukunft und der Zukunft
unserer Kinder bezahlen. Wir brauchen eine Kehrtwende hin zu nachhaltigem
Wirtschaften und Haushalten! Nur so kann eine freie und auch soziale
Marktwirtschaft funktionieren.
Von nachhaltigem
Wirtschaften sind wir weit entfernt. Es gelingt uns noch nicht, die
grundlegenden Bedürfnisse der Gegenwart für alle Menschen zu befriedigen. Und
es gelingt uns noch weniger, den Handlungsspielraum künftiger Generationen zu
erhalten. Dies zu ändern ist die wirklich grundlegende Aufgabe, vor der wir
stehen. Dabei setze ich auf Ihren Sachverstand, sehr geehrte Damen und Herren,
damit wir kraftvolles, richtiges Handeln erleben, das langfristig trägt.
„Wir haben die Wahl zwischen Sparsamkeit und Freiheit, oder Überfluss und Knechtschaft." Dies sind die berühmten Worte des dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Thomas Jefferson, der im Sommer des Jahres 1816 eindringlich davor warnte, dass sich Regierungen überschulden. Was ist dem noch hinzuzufügen? - in diesem Sommer der Ernüchterung, der den Beginn einer Rückbesinnung markieren muss. Dann hätten wir gelernt.
Quelle: www.bundespraesident.de
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