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Drachenwut's PolitikblogPolitische KorrektheitPolitische Korrektheit (dengl. pollitickel koräktnäss) ist heutzutage, dass logisch-auf sich beruhende Gegenteil von faktischer Korrektheit. |
Propagandaschlachten:
Medien entscheiden Kriege
von Rostislaw Ischtschenko
Beim heute beginnenden zweitägigen «Forum der europäischen und
asiatischen Medien» in der kasachischen Hauptstadt Astana steht die soziale und
politische Verantwortung der Massenmedien im Mittelpunkt.
Zur Sprache kommen die politischen Krisen in der arabischen Welt, die
vielen «farbigen» Revolutionen der vergangenen Jahre und die vielen kleineren
Kriege und Konflikte.
In der modernen Welt spielen nicht mehr die Waffen die entscheidende
Rolle beim Schüren von Gewalt. Noch wichtiger ist heutzutage die Fähigkeit der
Länder, ihre Informationswaffen erfolgreich einzusetzen.
«Böse Zungen sind schlimmer
als Pistolen»
Der Westen hat die erste Phase des dritten Weltkriegs (kalten Kriegs),
die mit dem Zerfall der Sowjetunion endete, dank der (damals) neuen Waffe – der
Informationswaffe – gewonnen. Heutzutage erlebt der dritte Weltkrieg seine
zweite Phase: Die Gefechte können monate- und jahrelang dauern, während die
Konfliktseiten sich dabei vor allem eine Propagandaschlacht liefern. Während
kleine Truppeneinsätze wie der russisch-georgische Fünftagekrieg im
August 2008, der arabische Frühling oder die Tragödie in Libyen Vorwand
für eine neue Informationskampagne sind.
Dass die Propaganda eine grosse Bedeutung bei Kriegen hat, war schon
früher bekannt. George Washington und Napoleon, Simon Bolivar und Abraham Lincoln, Wladimir Lenin und Josef Stalin, Winston
Churchill und Adolf Hitler, Mao Zedong und Fidel Castro wussten dieses Instrument zu nutzen. Aber bis zu den späten 1970er
Jahren spielte die Propaganda eher eine Nebenrolle. Siege wurden immer noch
unmittelbar auf den Schlachtfeldern errungen.
Die Informationstechnologien entwickelten sich immer schneller, die
Bedeutung von Informationen nahm zu. Damit ist die Verbreitung von
Informationen ein Teil der Kriegshandlungen, egal ob man das will und versteht
oder nicht.
Dabei ist völlig unwichtig, ob man als
Journalist eine der Konfliktseiten unterstützt oder eine Situation «neutral»
beschreibt. Unwichtig ist sogar, ob man politische Artikel oder schöngeistige
Texte schreibt. Im Grunde kann jedes Wort, das auf dem Papier oder im Internet
verbreitet wird, als Waffe benutzt werden.
PR ist wichtiger als Sieg
Das grösste Zerstörungspotential hat natürlich die politische
Berichterstattung. Heutzutage können mit ihrer Hilfe sogar die Ergebnisse von
echten Kriegen geändert werden. Unwichtig ist, wer der Sieger ist – wichtig
ist, was die Medien darüber berichten. Welchen Einfluss die Medien haben, wurde
1993 in Russland sichtbar. Damals löste Präsident Boris Jelzin
gesetzeswidrig das Parlament auf, setzte eine Änderung des Grundgesetzes durch
und erhielt damit die nahezu absolute Macht. Dennoch galt er weltweit als
«Demokrat». Ähnlich lief es 2004 auch bei der sogenannten «orangen Revolution»
in der Ukraine ab. Der damalige Staatsstreich wurde als «Volksrevolution» und
dessen Drahtzieher wurden als Demokraten bezeichnet.
In beiden Fällen hatte die Realität nichts mit
der Illusion zu tun, die von den Medien dargestellt wurde. Dennoch war diese
Illusion so beeindruckend, dass sich in Kiew 2004 viele Menschen fanden, die
«eine Verlegung der russischen Sondereinsatzkräfte mit ihren eigenen Augen
gesehen» hatten, deren Aufgabe der Schutz des ukrainischen Präsidenten vor
Angriffen der «orangen» Volksmassen gewesen wäre. Die «Augenzeugen» sprachen
von Flugzeugtypen, Flugnummern, der Zahl der Fahrzeuge in Konvois, die die
russischen Soldaten vom Flughafen Borispol nach Kiew gebracht hätten, den
Nummern von Truppenteilen und sogar den Namen von deren Kommandeuren, mit denen
sogar gesprochen wurde. Die russischen Sondereinsatzkräfte gab es in Kiew
nicht, sie sollen aber da gewesen sein, weil sie dort angeblich gesehen wurden.
Oder, besser gesagt, weil die ukrainischen Medien darüber berichteten.
Der Effekt der Massenvernichtungswaffen namens
Massenmedien ist um so stärker, weil man in der heutigen Informationsflut nicht
immer die Wahrheit von der Lüge unterscheiden kann. Wenn man mehrere
Informationsquellen zu einem Thema hat, dann muss man sich selbst entscheiden,
ob man ihnen glaubt oder nicht. Denn die Fotos bzw. Videos vom Ort des
Geschehens, die Aussagen der «Augenzeugen», die unwiderlegbaren Fakten,
Kommentare von Politikern und Experten usw. können wahr oder gefälscht sein. Da
kann man nie ganz sicher sein.
Nach der libyschen Tragödie, die sich vor den Augen der Weltgemeinschaft
abspielte, kann jeder selbst entscheiden, ob Muammar Gaddafi ein
Diktator oder ein Opfer des «imperialistischen Aggressionsaktes» war, ob er
tatsächlich gefasst und getötet wurde oder sich noch immer irgendwo in der
Sahara versteckt hat. Sein Leichnam, der in einem Supermarkt-Kühlhaus in
Misrata ausgestellt worden war, kann niemanden überzeugen. Nur ein paar
Meldungen über Gaddafis wundersame Rettung vor den Rebellen würden genügen, um
wieder Tausende Anhänger für ihn zu mobilisieren.
Wie ein Blogger eine Regierung
ersetzen kann
Wir leben alle in einer Informationsrealität. Wir sind nicht mehr
imstande, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Das ist eine Folge der
technologischen Entwicklung einerseits und der Notwendigkeit andererseits, auf
die Wirkung der neuen Massenvernichtungswaffen zu reagieren, die die Wirkung
der traditionellen Waffen verringern.
Dieser Krieg wird permanent geführt, allerdings
im Informationsraum. An diesem Krieg kämpft jeder gegen jeden. Die
Konfrontation zwischen dem Westen und dem Osten ist nach dem kalten Krieg noch
immer vorhanden, aber jetzt wird sie von zahlreichen internationalen,
innerstaatlichen, persönlichen, konfessionellen, parteilichen und vielen
anderen Konflikten geprägt. Es ist etwas passiert, was früher unmöglich war.
Theoretisch kann ein bekannter Journalist oder Blogger einen Informationskrieg
auslösen, als wäre er die Propagandamaschine eines ganzen Staates. Sein Erfolg
hängt nicht nur von seiner Fähigkeit ab, ein bzw. mehrere Massenmedien unter
Kontrolle zu bringen, sondern vor allem von der Zahl der Leser bzw. Zuschauer.
Wenn eine Person imstande ist, das Vertrauen der ganzen Menschheit zu gewinnen,
dann ist diese Person eine Art «Weltregierung». Alle Regierungen oder Behörden
spielen nur eine Nebenrolle, egal ob sie gewählt oder ernannt sind.
Da die Leser bzw. Zuschauer heutzutage kaum in der Lage sind, die Wahrheit
von der Lüge zu unterscheiden, tritt der Glaube oder, besser gesagt, die
Akzeptanz von Argumenten in den Vordergrund, die die Medien anführen. Weil der
Durchschnittsmensch dazu tendiert, sich der Meinung bzw. Position der Mehrheit
anzuschliessen, muss bei ihm «nur» die Illusion entstehen, dass er der Mehrheit
angehört – das ist die wichtigste Aufgabe der Medien.
Wie die Medien «neue Nationen»
bilden
Darauf lässt sich die Entstehung von zahlreichen
separatistischen und nationalistischen Bewegungen zurückführen. «Neue Nationen»
entstehen nicht auf der Basis von Verwandtschaften oder territorialen
Verbindungen – das ist illusorisch. Sie entstehen auf ideologischer und
informeller Grundlage. In diesem Sinne gibt es nichts Wundersames daran, dass
die nationalistische Bewegung in der Ukraine nicht von ethnischen
neofaschistischen Formationen, sondern von durchaus internationalen Parteien
angeführt wird, in die Armenier, Juden, Russen und Menschen anderer
Nationalitäten integriert sind. Der Nationalismus der Krim-Tataren ist in das
nationalistische Paradigma in der Ukraine integriert, wobei er ein autonomer
Bestandteil des ukrainischen Nationalismus ist. De facto vertraten alle
nationalistischen Parteien der Ukraine die Interessen der Krim-Tataren auf staatlicher
Ebene, während die Tataren den Nationalisten eine Basis auf der Krim
garantierten.
Heutzutage ist ein ukrainischer Nationalist und
Demokrat ein Mensch, der in der Ukraine lebt (dabei aber nicht unbedingt im
Land geboren wurde) und der unter Einfluss der Propaganda beschlossen hat, dass
es seine heilige Pflicht ist, Ukrainisch zu sprechen, nur weil er in der
Ukraine lebt. Er trägt die ukrainische Nationaltracht, verspottet die Russen,
weil die europäischen Demokraten keine engeren Kontakte mit ihnen aufnehmen
wollen, und träumt davon, dass ein «Messias» kommt und die europäische
Integration der Ukraine ermöglicht, so dass «alle glücklich werden».
Solche «neuen Nationen» entstehen in den
Regionen, wo die Politiker weder den Standpunkt einer grösseren politischen
Bewegung akzeptieren noch dieser ihre eigene Position aufzwingen können, dabei
aber genug Möglichkeiten haben, die Informationen zu steuern. In der Ukraine
gibt es viele Menschen, die keinen Internetanschluss und damit auch keinen
Zugang zu russischen und internationalen Medien haben. Unter solchen Umständen
kann leicht eine «neue Nation» entstehen, die mit entsprechenden Informationen
gefüttert worden ist.
Wenn aber so ein isolierter Informationsraum
aufgebrochen wird, dann verschwindet die Grundlage für das Schüren von
Nationalismus. Man sollte jedoch bedenken, dass das Internet für die meisten
Benutzer keine politischen Informationen, sondern vor allem Unterhaltung
liefert. Für die Informationsverbreitung ist weiter das Fernsehen zuständig, das
deshalb auch für die politische Stimmung verantwortlich ist. Deshalb sind
Internet-Aktivisten nicht in der Lage, in das geschlossene System einer
«Informationsnation» einzudringen. Dafür fehlen ihnen einfach die nötigen
Ressourcen.
Wer gewinnt Informationskriege?
So etwas können heutzutage nur einzelne Staaten
verkraften, egal ob sie dabei direkt oder mittels NGOs, internationaler
Konzerne usw. handeln. Global haben vorerst nur die USA ihre Fähigkeit unter
Beweis gestellt, mit den Medien und einzelnen Bloggern zusammenzuwirken. Auch
Russland und China verteidigen mehr oder weniger erfolgreich ihre
«Informationsnationen», doch ihnen fehlt die Fähigkeit zu einer effizienten
Offensive in diesem Bereich. Die anderen Länder verhalten sich bei den
weltweiten PR-Schlachten eher passiv.
Aber ein Krieg, auch ein Informationskrieg, kann
nicht nur mit der Abwehr der Angriffe gewonnen werden. Die Welt erlebt gerade
eine wichtige Phase: Möglicherweise können sich die Anhänger der eurasischen
Konzeption noch zusammenreissen und in die Offensive übergehen. Der Zeitpunkt
ist günstig: Die USA befinden sich wegen der aktuellen Krise und ihrer
schlechten Militärpolitik der letzten zehn Jahre (zu oft entschied sich
Washington für direkte Kriegshandlungen statt zu kluger Propaganda) nicht
gerade in Topform, zumal ihre Medien das Vertrauen der Weltgemeinschaft
verloren haben. Um wieder eine bessere Situation herzustellen, braucht
Washington mindestens zwei, drei Jahre. In dieser Zeit können einige Länder
diese Gelegenheit ausnutzen. Wenn nicht, dann könnte diese Konfrontation noch
sehr lange dauern und verschiedene Formen annehmen, aber ihr Ergebnis ist von
vorneherein klar.
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* Rostislaw
Ischtschenko ist Präsident des ukrainischen Zentrums für Systemanalyse und
-prognostizierung.
Quelle: RIA Novosti vom 21.11.2011