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Drachenwut's PolitikblogPolitische KorrektheitPolitische Korrektheit (dengl. pollitickel koräktnäss) ist heutzutage, dass logisch-auf sich beruhende Gegenteil von faktischer Korrektheit. |
Projektion
und Wirklichkeit
Hintergrund. Aus der Ferne
und noch mal von vorn: Kontinuitäten und Merkwürdigkeiten des Israel-Bildes in
der BRD und anderswo in der westlichen Welt
Von Christian Neven-du Mont
Kibbuz-Zeremonie
in Israel (ohne Ortsangabe, Juli 1951). Im Westdeutschland der Nachkriegszeit
wurde der Aufbau des jungen Staates vorzugsweise als kolonialistische
Pionierleistung gefeiert
Foto:
Piki Wiki - Israel free image colection Project
Inhalt:
Seit 1967,
also seit 44 Jahren, okkupiert bzw. kontrolliert Israel die sogenannten
besetzten Gebiete. Obwohl es auf der Welt immer mehr solcher Territorien gibt,
denken wir alle, wenn dieser Begriff irgendwo ohne nähere Bestimmung auftaucht,
sofort an Gaza, Golan und die Westbank.
Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Wörter und Begriffe, die, für sich
genommen, nichts mit Israel zu tun haben, die aber vorwiegend oder
ausschließlich mit diesem Staat assoziiert werden und auch dort selbst
gebraucht werden, zum Teil im regierungsamtlichen Sprachgebrauch. Fast alle
klingen negativ oder sehr defensiv: Bevölkerungstransfer, Blockade,
Delegitimierung, demographische Zeitbombe, Existenzrecht, Gegossenes Blei,
gezielte Tötung, Hauszerstörungen, selbsthassende Juden, Siedler, Siedlern
vorbehaltene Straße, Trennmauer, Vergeltungsschlag … Auch Begriffe aus anderen
Ländern und anderen Zeiten wie Apartheid, Bantustan oder gar Herrenvolk werden
heute zunehmend mit Israels Politik assoziiert. Sogar der frühere US-Präsident
James Carter veröffentlichte 2006 ein Buch zum Nahostkonflikt mit dem Titel
»Peace, not Apartheid«.
Vor 1967 war dagegen das Israel-Bild, besonders in Deutschland, recht idyllisch
und spiegelte kaum die dortigen Konflikte wider. Gründung und Aufbau dieses
Staats wurden als weitgehend unproblematisch, ja vorbildhaft wahrgenommen. Alle
politischen Lager waren sich darin einig. Fast sämtliche alten Nazis wandelten
sich problemlos zu Israel-Enthusiasten, sie brauchten dabei ihren
Antisemitismus nicht abzulegen, nur aufzuspalten: Die jüdischen Deutschen
blieben verachtungswürdig, die Israelis waren jetzt die Guten. Diese Wandlung
stieß auf wenig Widerstand von Antifaschisten, denn wer das »Dritte Reich« als
Erwachsener miterlebt hatte und kein Nazi gewesen war,
hatte erst recht ein schlechtes Gewissen gegenüber Juden.
Hatte das
Bild des Juden (die maskuline Formulierung ist hier angebracht, Frauen spielten
eine Nebenrolle) eben noch einer Stürmer-Karikatur geähnelt – schwarze Haare,
Rücken und Nase krumm –, so wurde dieser als Israeli über Nacht jung, groß,
blond, blauäugig, hatte die Hand am Pflug, das Gewehr auf der Schulter, brachte
die Wüste zum Blühen und lebte in einem Kibbuz, den er gelegentlich gegen nicht
näher definierte arabische Eindringlinge verteidigen mußte. Wieder eine
Karikatur, aber diesmal eine eurozentrisch-kolonialistische. Der arabische
Eindringling erhielt seine gerechte Strafe, er wurde erschossen oder
gefangengenommen, allerdings nur er, nicht etwa seine Frau oder sein Kind.
Feinde Israels waren die (größeren) arabischen Nachbarländer, nicht die
Palästinenser, der Schurke im Stück hieß noch nicht Achmed Schukeiry oder
Yassir Arafat, sondern Gamal Abtel Nasser.
Zu einem kolonialistischen Pionierbild gehört natürlich auch ein Gegenbild des
rückständigen Kolonisierten, in diesem Fall des Arabers, der entweder diese
Entwicklung von außen mit Neid und Mißgunst verfolgt, oder, falls noch in
Israel ansässig, dankbar sein muß, daß er durch die Wohltaten der Moderne aus
seiner Lethargie gerissen wird, und insbesondere, wenn er Beduine ist, das Bild
des Landes als Farbtupfer bereichern darf. Dieses Israel-Bild scheint sich
weitgehend mit der damaligen Selbstdarstellung des Landes zu decken, die die
neuen, wehrhaften Israelis den schwächlichen Diasporajuden gegenüberstellte,
welche sich nur selten gegen ihre Mörder gewehrt hatten. Es war aber durchaus
ein deutsches Eigengewächs – amtliche Propaganda von seiten Tel Avivs, um die
öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, gab es in nennenswertem
Umfang erst nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965.
Zum einen gab es in der alten BRD eine deutliche Tendenz zur Verniedlichung und
Infantilisierung Israels und der Juden. Bestseller waren Geschichten von
Ephraim Kishon wie die Satirensammlung »Drehn Sie sich um, Frau Lot!« (dt.
1961) und der »Blaumilchkanal« (dt. 1971), wo ein harmloser Spinner einen Kanal
durch Tel Aviv gräbt und alle ihn gewähren lassen, weil es schon seine
Richtigkeit haben wird, sowie »Der jüdische Witz« (1960) von Salcia Landmann,
unbeschwert heitere und geschichtslose Bücher. Der Schweizer Jüdin Landmann
wurde wegen dieser Tendenz von dem österreichischen Kritiker Friedrich Torberg
sogar Antisemitismus vorgeworfen. Sowohl Kishon als auch Landmann darf man wohl
unterstellen, daß sie die Wirkung, die sie erzielten, auch beabsichtigt haben.
Ephraim Kishon, dessen Bücher nirgendwo so erfolgreich waren wie in
Deutschland, kam aus Ungarn und war selbst ein Opfer des Naziterrors gewesen,
er hätte auch anderes berichten können, wollte aber wohl einen Schlußstrich
unter die Vergangenheit ziehen. Wo er sich explizit an ein ausländisches
Publikum wandte, präsentierte er Israel als normal und ungefährlich: »Wir
Israelis lieben Israel, wie die Kanadier Kanada lieben, die Portugiesen
Portugal und die Engländer Frankreich.«
Mit einer Gesamtauflage von fast 800000 Exemplaren ebenfalls sehr erfolgreich,
aber frei von Verniedlichungstendenzen, war der autobiographische Roman der
zwanzigjährigen israelischen Rekrutin Yael Dayan »Ich schlafe mit meinem
Gewehr« (dt. 1959). Der militaristische deutsche Titel dürfte symptomatisch
sein für die Befindlichkeit zu Israel-Freunden gewendeter Nazis. Die Autorin
konnte wohl nichts dafür, auf englisch heißt ihr Buch nüchtern »New Face in the
Mirror« (neues Gesicht im Spiegel); Yael Dayan war und ist auch keine
Militaristin. Für den deutschen Zeitgeist ist auch der Untertitel des Buches
aufschlußreich: In der deutschen Erstausgabe lautete er »Eine ›Soldatin‹ in
Israel«; weibliche Soldaten vermochte man sich offenbar nur in
Anführungszeichen vorzustellen. Als später Yaels Vater Moshe Dayan als
Oberkommandierender des Sechstagekrieges berühmt geworden war, wandelte sich
der Untertitel des Buches in »Die Verfasserin ist die Tochter des ›Siegers von
Sinai‹« (Anführungszeichen jeweils auf dem Buchdeckel ).
Aus heutiger Sicht fallen am damaligen Israel-Bild weitere Aspekte auf: Es ist
das Bild einer relativ egalitären bäuerlichen Gesellschaft und kommt darin dem
Idealbild nah, das Theodor Herzl fünfzig Jahre zuvor vom Judenstaat gemalt
hatte. Außerdem handelt es sich um ein relativ normales Land, das in auf Dauer
angelegten, von allen außer den Arabern anerkannten Grenzen, eine relativ
sichere Existenz führt. Überschreiten die Israelis ihre Grenzen, wie mit der
Eroberung des Sinai 1956, so sorgen die US-Amerikaner dafür, daß sie wieder
nach Hause gehen. Zwischen 1948 und 1956, acht Jahre lang, und zwischen 1956
und 1967, elf Jahre lang, gab es kleinere Übergriffe, aber nichts, was in der
Weltöffentlichkeit als Krieg wahrgenommen worden wäre. Selbst der Überfall auf
Ägypten von 1956 ging nicht als Krieg, sondern als Suez-Krise in die Geschichte
ein. Dieser Aspekt der Wahrnehmung ist wichtig, weil Israel
seither nie wieder in diesem Umfang den Eindruck von Normalität und
tendenzieller Vereinbarkeit mit seiner Umgebung vermittelt hat.
Für die
Popularität Israels im westlichen Nachkriegsdeutschland spielten noch weitere
Faktoren eine Rolle: In den ersten Jahren nach 1945 lebten in den britischen
und amerikanischen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs etwa 250000
jüdische Flüchtlinge in erbärmlichen Umständen als »Displaced Persons«. Die
deutschen Antisemiten wollten sie möglichst schnell loswerden; wer wegen des
Naziregimes ein schlechtes Gewissen hatte, wünschte ihnen eine menschenwürdige
Zukunft. Beiden Lagern kam die Aufnahmebereitschaft der jüdischen Gemeinschaft
in Palästina, des Yischuw, und später Israels entgegen, die sich positiv von
der Herzlosigkeit der Briten abhob, die 4500 der Flüchtlinge nach Deutschland
zurückschickten.
Ein weiterer Faktor war die Tatsache, daß sich Israels Rolle im Nahen Osten als
Speerspitze des Westens gut in das Freund-Feind-Schema des Kalten Krieges
einfügte, das in der BRD das politische Denken bestimmte (hier spielt der
Umstand eine Rolle, daß der Konflikt zwischen Israel und den Arabern in erster
Linie als einer zwischen Staaten, nicht zwischen Bevölkerungsgruppen,
wahrgenommen wurde). Ägypten und Syrien galten, obwohl blockfrei, wegen der
massiven sowjetischen Waffenhilfe ab 1956 als Vasallen Moskaus. Die
westdeutschen Unternehmer und die Adenauer-Regierung gingen davon aus, daß die
»Versöhnung« mit den Juden, besonders in den USA, das wirtschaftliche Wachstum
und die Annäherung an den Westen fördern könne. Man leistete »Wiedergutmachung«
an Israel, als ob Auschwitz »wieder gut« gemacht werden könnte, und bekam dafür
von Israels Ministerpräsident David Ben Gurion bescheinigt, das Deutschland des
Jahres 1952 sei ein »anderes Deutschland«. Eine Hand wusch die andere, hier
zeigen sich Parallelen in der Lage beider Staaten, die sich als Neugründungen
um internationale Anerkennung bemühen mußten.
Zugleich war Israel damals der einzige Frontstaat des Kalten Krieges, dessen
maßgebende Politiker den Anspruch erhoben, nichtreligiöse Sozialisten zu sein.
So erklärte die Außenministerin und spätere Ministerpräsidentin Golda Meir der
erstaunten Hannah Arendt: »Sie werden ja verstehen, daß ich als Sozialistin
nicht an Gott glaube, ich glaube an das jüdische Volk.« (zit. n. Hannah
Arendt/Gershom Scholem, Der Briefwechsel 1939–1964, Frankfurt 2010, Brief an
Scholem vom 20.7.1963) Das entsprach zwar nicht dem realen Israel, wo religiöse
Elemente bei der Auswahl der Staatsbürger und im Zivilrecht durchaus eine Rolle
spielten (und spielen) und es nicht einmal die Zivilehe
gab (und gibt), aber Israel war weit weg und bot deshalb
Identifikationsmöglichkeiten für viele, die mit der Restauration des
Kapitalismus und der Bigotterie der Adenauer-Zeit haderten.
Gegenüber dem Selbstbild des offiziellen Israel wirkte das
deutsche Israel-Bild seltsam unzeitgemäß. Wegen des Antisemitismus und der außenpolitischen Isolation des »Dritten
Reiches« hatte fast niemand zur Kenntnis genommen, daß sich während des Zweiten
Weltkriegs, und in Palästina noch früher, das Kräfteverhältnis in der
zionistischen Bewegung verschoben hatte. Bis dahin hatte diese das Bild eines
Judenstaats gepflegt, der nicht in Widerspruch zu der in ihm oder um ihn herum
lebenden nichtjüdischen Bevölkerung stehen sollte. Nicht ohne Grund hatte
Theodor Herzl sein Wunschbild »Judenstaat« genannt, nicht »jüdischer Staat«.
Der Judenstaat sollte wohl durch Sprache und Kultur der Juden geprägt sein wie
Deutschland deutsch ist und Frankreich französisch, aber er sollte nicht andere
zwingen, in einem jüdischen Staat zu leben oder unter jüdischer Vorherrschaft
zu stehen. Die Balfour-Erklärung der Briten von 1917 hatte ausdrücklich
festgehalten, daß durch die Errichtung einer »jüdischen Heimstätte« in
Palästina die Rechte der einheimischen arabischen Bevölkerung nicht
beeinträchtigt werden dürften. Das Völkerbundmandat für Palästina und der
UN-Teilungsplan von 1947, die beide auf der Balfour-Erklärung basierten,
definierten den Staat, der nun »jüdisch« heißen sollte, als einen mit (knapper)
jüdischer Mehrheit. Eine Privilegierung der jüdischen Bevölkerung war nicht
vorgesehen. In der zionistischen Bewegung setzte sich die »revisionistische«
Strömung durch, die einen möglichst rein jüdischen Staat anstrebt, in dem die
jüdische Mehrheit privilegiert ist und durch Gesetze und Zwangsmaßnahmen
sicherstellt, daß sie auch Mehrheit bleibt. Diese aggressivere Definition des
Zionismus drang aber in Deutschland kaum ins öffentliche
Bewußtsein. Es hielt sich die Vorstellung, die bis 1947/1948 auch im Yischuw
propagiert worden war, daß von der Modernisierung Palästinas letztlich auch die
Araber profitierten.
Mit dem Anspruch Gleichheit und Sozialismus ist es vorbei: Proteste in
Tel Aviv gegen steigende Lebenshaltungskosten und Mittelkürzungen im sozialen
Bereich durch die Regierung
Foto: Reuters
Nicht von
ungefähr waren nahezu die einzigen, die gegen Massaker an Palästinensern im
Zuge ihrer Vertreibung 1948 protestierten, Deutsche, die man ins Exil getrieben
hatte, wie Hannah Arendt und Albert Einstein. Mit 25 weiteren Unterzeichnern
wandten sie sich in einer Anzeige in der New York Times am 2. Dezember 1948
gegen einen Besuch des israelischen Oppositionsführers Menachem Begin in den
USA: » (…) Eines der bedenklichsten politischen Phänomene unserer Zeit ist im
neuen Staat Israel (…) die ›Freiheitspartei‹, die in Organisation, Methoden,
politischer Philosophie und sozialer Ausrichtung den Nazi- und faschistischen
Parteien entspricht. In ihr ist die Mitglied- und Anhängerschaft der früheren
Irgun Zvai Leumi aufgegangen, einer terroristischen, rechtschauvinistischen
Organisation in Palästina (…) Ein erschreckendes Beispiel waren ihre Handlungen
in dem arabischen Dorf Deir Yassin. Dieses Dorf liegt abseits der großen
Straßen, hatte sich nicht am Krieg beteiligt und hatte sogar arabische Banden
vertrieben, die sich dort festsetzen wollten. Am 9. April griffen terroristische
Banden dieses friedliche Dorf an, (…) töteten die meisten Einwohner, 240
Männer, Frauen und Kinder und ließen ein paar von ihnen für eine
Gefangenenparade in Jerusalem am Leben. Die Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft
war entsetzt (…), die Terroristen aber waren stolz auf ihr Massaker, warben
überall damit und luden alle ausländischen Korrespondenten im Land ein, sich
die Leichenhaufen (…) in Deir Yassin anzusehen. (…) Die Unterzeichneten
ergreifen dieses Mittel, um einige (…) Tatsachen über Begin und seine Partei zu
publizieren und appellieren an alle, diese jüngste Manifestation des Faschismus
nicht zu unterstützen. (zit. n. www.marxists.org, Übersetzung d.A.)
Wohl gab es auch in Westdeutschland einzelne, die die Realität Palästinas
besser kannten, als ihnen lieb war. Der spätere Journalist und Gewerkschafter
Jakob Moneta war 19jährig 1933 dorthin ausgewandert und in einen Kibbuz
eingetreten, aus dem er 1939 ausgeschlossen wurde, nachdem er mit einer Gruppe
Gleichgesinnter verlangt hatte, daß auch Araber in den Kibbuz aufgenommen
werden sollten. Wenig später wurde er von den Briten verhaftet, die, wie er
1978 in seinen Memoiren schrieb, »jüdische Nichtzionisten als Gefahr ansahen«,
und wurde ohne Urteil über zwei Jahre eingesperrt. »1933 war ich als Jude in
das arabische Palästina gekommen, als ich 1948 das Land verließ, waren die
Araber zu Juden geworden, ich kehrte als überzeugter Internationalist nach
Deutschland zurück.« Einflußreiche jüdische Intellektuelle wie ihn, die wieder
nach Deutschland gekommen waren, um sich dem Erbe des Faschismus zu stellen,
gab es in der BRD noch etliche, unter anderen den Philosophen Theodor W.
Adorno, den Staatsanwalt Fritz Bauer, den Publizisten Robert Neumann und die Schriftstellerin
Grete Weil. Sie alle hatten, wie Arendt und Einstein, ein differenziertes
Israel-Bild, selbst Moneta war ein Anhänger der Kibbuz-Idee geblieben, niemand
von ihnen machte sich mit den neuen Israel-Freunden vom
Schlag des Bild-Verlegers Axel Springer gemein.
Als mit der
Gründung der PLO 1964 die arabische Bevölkerung Palästinas die politische Bühne
betrat und Israel 1967 den Sechstagekrieg gewann, änderte sich am idealisierten
Israel-Bild der Mehrheit zunächst wenig – allerdings wurde spürbar, daß der
israelische Sieg, verklärt als »David gegen Goliath«, dazu mißbraucht wurde,
ganz allgemein den Militarismus salonfähig zu machen. Ich selbst war damals
Abiturient. Pazifistisch erzogen und von den begeisterten Berichten meines
Vaters beeinflußt, der als Journalist seit 1956 mehrmals in Israel gewesen war
und die Aufbauleistung dort bewunderte, wurde ich das erste Mal nachdenklich,
als alte Nazis und junge Wiederbewaffner die »Sieger von Sinai« enthusiastisch
feierten. Die sechs Tage des Krieges (5.–11. Juni 1967) fielen in der BRD in
eine bewegte Zeit: Wir Jugendlichen strömten zu Zehntausenden auf die Straßen,
um gegen die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg durch den Polizisten
Karl-Heinz Kurras am 2. Juni, gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien und
seine Schlägertrupps von »Jubelpersern« zu protestieren. Manche von uns hatten
schon seit 1965 gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Israel blieb von »Raus aus
…!« und »Go home«-Forderungen verschont, wir waren durchaus bereit, die
offizielle Darstellung zu glauben, das Land habe sich
aus dem Würgegriff seiner Nachbarn durch einen Präventivschlag befreien müssen.
Uns störte, daß der israelische Sieg in unserem Land von Militaristen und
kalten Kriegern instrumentalisiert wurde.
Aus
heutiger Sicht scheint es wahrscheinlich, daß der schnelle Sieg Israels und die
anschließende Besetzung der Golanhöhen, der Westbank und des Gazastreifens der
Beginn einer schweren politischen Niederlage war. Die ersten warnenden Stimmen kamen
von zwei alten Herren, denen niemand vorwerfen konnte, linke Nörgler zu sein,
dem 80jährigen Staatsgründer David Ben Gurion und dem 76jährigen französischen
Staatspräsidenten Charles de Gaulle. Ben Gurion antwortete im Mai 1967, drei
Wochen vor dem Krieg, der Zeitung Maariv (»Abendgebet«) auf die Frage: »Was
würden Sie ihrem Enkelsohn antworten, wenn er Sie nach den Grenzen der Heimat
fragen würde?«: »Das sind die heutigen Grenzen Israels«. Auf die zweite Frage:
»Würden Sie ein israelisches Kind ermuntern, ein Lied der Sehnsucht nach einem
vereinten Jerusalem zu schreiben?«, antwortete er: »Wenn es schreiben will,
soll es schreiben, ich würde keins schreiben.« (zit. n. Spiegel online,
31.5.2007)
De Gaulle erklärte auf einer Pressekonferenz am 27. November 1967: »Israel ist
im Begriff, in den eroberten Gebieten ein Besatzungsregime zu errichten, das
ohne Unterdrückung, Vertreibung und Zwangsmaßnahmen nicht auskommen kann; dort
entwickelt sich ein Widerstand, den Israel als Terrorismus begreift.« (zit. n.
Le Monde diplomatique, 3/2003, S. 29) De Gaulle ließ seinen Worten auch Taten
folgen und beendete die militärische Zusammenarbeit
Frankreichs mit Israel.
Betrachtet man die
folgenden 44 Jahre, in denen sich an der von de Gaulle beschriebenen Szenerie
nichts Wesentliches geändert hat, so springt als erstes ein Gegensatz ins Auge:
Israels wirtschaftliche und militärische Macht hat sich vervielfacht, es gehört
heute zu den reichsten Industriestaaten, gleichzeitig nimmt sein politisches
Prestige dramatisch ab, und aus Pionieren, die die Wüste zum Blühen bringen,
wurden in den Augen weiter Teile der internationalen Öffentlichkeit Vandalen,
die anderer Leute Häuser plattwalzen und deren Ölbäume ausreißen.
Eigentlich hätte der noch junge jüdische Staat ein Interesse daran haben
müssen, möglichst normal und harmlos zu erscheinen, zwar wehrhaft genug, um
Invasoren abzuschrecken, aber keine Quelle ständiger Krisen zu sein oder gar
eine Gefahr für den Weltfrieden. In dieser Hinsicht war die israelische
Selbstdarstellung vor 1967 sehr viel glaubwürdiger und erfolgreicher als
danach.
Auch der Anspruch, ein »jüdischer Staat« zu sein, läßt sich am leichtesten
aufrechterhalten, wenn möglichst wenig gefragt wird, was das denn genau sei und
wenn der Umgang dieses Staates mit Nichtjuden möglichst wenig Aufmerksamkeit
erregt. Die Besetzung und Besiedlung der Westbank und des Golan und die
Verwandlung des Gazastreifens in ein Freiluftgefängnis für Gute und Böse
bewirken das Gegenteil. Auch die Steigerung des alttestamentarischen
Vergeltungsprinzips »Auge um Auge, Zahn um Zahn« – für jedes Auge müssen die
Gegner gleich mehrere opfern – wirkt abstoßend.
Wenn auch das deutsche Israel-Bild der 50er und 60er Jahre naiv und lächerlich
erscheinen mag, so wirken dessen wesentliche Elemente noch heute nach. Nach dem
Sieg der Rechten und des Neoliberalismus in Israel, noch vor dem Zusammenbruch
des Ostblocks, zog der Staat, jetzt eher Goliath als David, im Namen des
Abendlands gegen Islamisten zu Felde (die Israel nur ein Jahrzehnt zuvor noch
gefördert hatte, um die laizistische PLO zu schwächen). Dieses neue Israel bot
seinen Freunden allerdings weniger Identifikationsmöglichkeiten als das alte:
Mit Gleichheit und Sozialismus war es vorbei, die Massen von Israelis, die heute
auf die Straße gehen müssen, um elementare Rechte einzufordern, bezahlbare
Wohnungen und Lebensmittel, zeigen es deutlich. Es wagt auch kein Politiker
mehr, laut an Gott zu zweifeln. Man hätte auch für Deutsche keinen
Dokumentarfilm mit dem Titel »Israel – Staat der Hoffnung« mehr drehen können,
wie es 1955 noch möglich gewesen war. Zuflucht für Juden aus dem sich
auflösenden Ostblock boten auch andere Länder, und im neuen Jahrtausend
verblaßte Israels Glanz als Zufluchtsort noch mehr: Die religiösen Hürden für
Einwanderer wurden höher, seit 2007 verlassen mehr Juden das Land als dorthin
einwandern.
Wie die meisten alten Nazis mit dem alten Israel gut zurechtgekommen waren,
lieben die modernisierten Nazis von Gianfranco Fini bis Geert Wilders das neue.
Der belgische Vlaams Belang geht gar unter den Juden Antwerpens erfolgreich auf
Stimmenfang.
Die Regierungen Israels haben seit einigen Jahren nichts mehr unternommen, um
ihr Image zu verbessern. Nach vier Jahrzehnten Besatzung und fünf Jahren
Abriegelung des Gazastreifens hoffen sie darauf, daß sich die
Weltöffentlichkeit daran gewöhnt hat und vertrauen auf die normative Kraft der
Fakten, die Stärke der Armee und die einschüchternde Wirkung des
Antisemitismusvorwurfs. In dieser Lage mutet es absurd an, daß in Deutschland
darüber gestritten wird, ob Kritik laut sein darf oder nur leise. Daß Arendt,
Einstein und andere Menachem Begin einen faschistischen Mörder genannt haben,
hat seinen Aufstieg zum Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträger
bekanntlich nicht verhindert. Heute dürften sie sich aussuchen, ob sie lieber
»selbsthassend« oder antisemitisch genannt werden wollten. Es wird so getan,
als könne Kritik Israel in seinen Grundfesten erschüttern, und man versucht,
sie zu unterbinden.
Ganz Israel-Palästina – die Mauern, die gezogen werden, ändern nichts daran –
ist heute ein einheitlicher Wirtschaftsraum, in dem die israelische Regierung
die Lebensverhältnisse aller Menschen bestimmt. Überall, sogar für den
Gazastreifen, führt sie das Standesamtsregister und legt fest, wer in welche
Kategorie gehört. Es ist also ein De-facto-Staat, der schon länger besteht, als
die DDR bestanden hat. Man muß deutlich sagen, daß diejenigen lügen, die, von
Merkel bis Gysi, die Zweistaatenlösung zum Dogma machen, aber nicht bereit
sind, sie durchsetzen zu helfen. Aus der Ferne bleibt nur übrig, die Forderung
nach Demokratie und gleichen Rechten für alle im De-facto-Staat
Israel-Palästina zu erheben.
Quelle: Junge
Welt
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