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Drachenwut's PolitikblogPolitische KorrektheitPolitische Korrektheit (dengl. pollitickel koräktnäss) ist heutzutage, dass logisch-auf sich beruhende Gegenteil von faktischer Korrektheit. |
Israel
ist eine Gesellschaft der Gewalt und Brutalität geworden
von Gideon Levy
30.06.2011 — Ha'aretz
Hören wir uns selbst an? Sind wir uns bewusst, dass schreckliche
Geräusche von uns ausgehen? Haben wir bemerkt, dass der Diskurs immer
gewalttätiger wird, und wie die Sprache der Gewalt dabei ist, unsere einzige
offizielle Sprache zu werden?
Eine Gruppe internationaler Aktivisten ist dabei, mit einer Flotilla an
die Küste des Gazastreifens zu segeln. Viele von ihnen sind Sozialarbeiter und
Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit, Veteranen im Kampf gegen die Apartheid,
Kolonialismus, Imperialismus, gegen sinnlose Kriege und Ungerechtigkeit. Allein
dies festzustellen, ist hier schwierig, da sie schon alle als Schlägertypen
beschrieben wurden.
Dabei sind Intellektuelle, Holocaustüberlebende und Leute mit Gewissen.
Als sie gegen die Apartheid in Südafrika kämpften oder gegen den Krieg in
Vietnam, wurden sie sogar hier bewundert. Aber jetzt ein bewunderndes Wort über
diese Leute zu sagen, unter denen auch Ältere sind, die ihr Leben riskieren und
ihr Geld und ihre Zeit für etwas einsetzen, das sie als gerecht ansehen, wird
hier als Verrat angesehen. Es ist nicht unmöglich, dass sich gewalttätige Leute
unter sie gemischt haben, aber die Mehrheit sind Menschen des Friedens, keine
Hasser Israels, aber Hasser seiner Ungerechtigkeit. Sie haben sich entschlossen
nicht still zu bleiben – sondern das bestehende System herauszufordern, das für
sie unannehmbar ist und das für jede moralische Person unannehmbar sein kann.
Ja, wir wollen provozieren – es ist der einzige Weg, die Welt an die
Situation des Gazastreifens zu erinnern, an dem keiner Interesse hat, es sei denn,
wenn Qassamraketen fliegen oder Flotillen sich damit beschäftigen. Ja, die
Situation im Gazastreifen hat sich in den letzten Monaten (ein klein wenig)
verbessert, wegen der vorangegangenen Flotille. Aber Gaza ist noch immer nicht
frei – weit davon entfernt. Es gibt keinen Ausweg weder übers Meer , noch über
die Luft, es gibt keinen Export, und seine Bewohner sind zum größten Teil wie
in einem Gefängnis. Israelis, die ausflippen, wenn der Ben Gurion-Flughafen für
zwei Stunden gesperrt ist, sollten in der Lage sein, die Leute zu verstehen,
die keinen (Flug- oder See-)Hafen haben. Gaza hat Anspruch auf Freiheit, und
diejenigen auf der Flotille haben ein Recht, so zu handeln, um dies zu
erreichen. Israel sollte ihnen erlauben, zu demonstrieren.
Aber man schaue sich an, wie Israel handelt. Die Flotille wurde sofort
von jedem als eine Sicherheitsbedrohung beschrieben; ihre Aktivisten wurden als
Feinde angesehen. Und die lächerlichen Vermutungen, die Offizielle der
Verteidigung machten und die von der Presse eifrig übernommen wurden. Wir haben
noch die Kampagne der Dämonisierung der letzten Flotilla im Ohr, in der neun
türkische Bürger grundlos getötet wurden, und schon hat die neue Kampagne
begonnen. Man hört die üblichen Wörter : Gefahr, chemische Substanzen, Kampf
von Mann zu Mann, Muslime, Türken, Araber, Terroristen und womöglich auch
Selbstmordattentäter. Blut und Feuer und Rauchwolken!
Die unvermeidliche Schlussfolgerung ist, dass es nur einen Weg gibt,
gegen die Passagiere an Bord der Flotille zu handeln: durch Gewalt, und nur
durch Gewalt, da es eine Sicherheitsbedrohung ist. Es ist ein immer wieder
kehrendes Muster: zuerst Dämonisierung, dann Legitimierung (mit Gewalt
vorzugehen). Man erinnere sich nur an die Geschichten über die raffinierten
iranischen Waffen, die durch die Waffenschmuggeltunnel in Gaza gekommen sein
sollen oder daran, dass der Gazastreifen voll versteckter Bomben sei? Dann kam
Operation Cast Lead (08/09), und die Soldaten fanden nichts dergleichen.
Die Haltung gegenüber der Flotilla ist eine Fortsetzung desselben
Benehmens. Die Kampagne
mit Angst machender Taktik und Dämonisierung, zusammen mit heftiger
Rhetorik ist inzwischen von der ganzen Öffentlichkeit übernommen worden. Denn
worüber sollen Israelis denken, wenn sie mit gruseligen Geschichten über die
Flotilla gefüttert werden, wenn nicht über die Anwendung von Gewalt. Diese
Aktivisten wollen die IDF-Soldaten töten. Wir werden uns erheben und sie zuerst
töten.
Und nun die Politiker, die Generäle und die Kommentatoren sind im
Wettstreit mit einander: wer kann die erschreckendste Beschreibung der Flotilla
liefern, wer kann die Öffentlichkeit am meisten erzürnen, wer kann die
Soldaten, die uns retten, am meisten loben und wer kann die aufgeblasenste
Rhetorik bringen, wie man sie vor einem Krieg erwartet. Ein bedeutsamer
Kommentator, Dan Margalit, brachte schon Poesie in seine Zeitungskolumne:
„Gesegnet sind die Hände,“ und meinte die Hände, die eines der Schiffe
sabotierte und fahrunfähig machte. Das ist noch eine gewalttätige und illegale
Aktion, die hier unmittelbaren Applaus hervorbringt, ohne dass jemand fragt:
mit welchem Recht?
Diese Flotilla wird nicht durchkommen. Der Ministerpräsident und der
Verteidigungsminister haben uns dies versprochen. Noch einmal wird uns Israel
ihnen, den Aktivisten, zeigen, wer hier das Sagen hat – wer der Stärkste ist
und wer die Verantwortung in der Luft, auf dem Land und zur See hat. Die
„Lektionen“ der letzten Flotilla sind gut gelernt worden – nicht aber die
Lektionen des sinnlosen Tötens oder der gewalttätigen und unnötigen Übernahme
des Schiffes, aber der Demütigung des israelischen Militärs.
Aber die Wahrheit ist: die wirkliche Demütigung liegt in der Tatsache,
dass Marinekommandos eingesetzt wurden, um die Schiffe abzufangen. Und das ist
etwas, das uns alle betrifft: wie wir zu einer Gesellschaft geworden sind,
deren Sprache Gewalt wurde, ein Land, das versucht, fast alles mit Gewalt und
nur mit Gewalt zu lösen.
Quelle: http://www.zmag.de/autoren/Gideon-Levy